Neuss: Alkalibad stoppt Papierzerfall
Akten auf schlechtem Papier sind bedroht: Neusser Archiv beteiligt sich an Landeskampagne.
<strong>Neuss. Keine Bücher, kein Computer. Eine Akte liegt auf dem Tisch in diesem schlichten Arbeitsraum des Stadtarchivs, ein dokumentierter Behördenvorgang vom Anfang der 50er Jahre. Ein ganz normales Verwaltungsdokument? Nein, hier geht es um den Antrag eines KZ-Häftlings auf Entschädigung an den "Sonderhilfe-Ausschuß für den Kreis Neuß". Geschrieben auf schlechtem Papier, ist dieses Dokument eines von vielen, das - nicht nur in Neuss - vom Zerfall bedroht ist. Der Zerfall von Papier mit hohem Säureanteil ist seit langem ein Horrorszenario für die Archive. Gerade die Dokumente aus der Zeit etwa von 1850 bis 1950 sind anfällig und teils schon angegriffen oder zerstört. Nun ist ein Landesprogramm angelaufen, das dem entgegenwirken soll.
Initiiert hat das der Neusser Kultur-Staatssekretär Hans-Heinrich Grosse-Brockhoff, der vor einem Jahr deutlich aussprach: "In unseren Archiven und Depots verrotten kulturell wertvolle Bestände, ohne dass sich jemand in unserem allzu sehr auf Events und Besucherzahlen ausgerichteten Kulturbetrieb darum kümmert."
Vorauswahl und Entsäuerung per Handarbeit, aber auch Sortierung und Überprüfung von Material aus anderen Archiven übernimmt in Neuss die diplomierte Restauratorin Sabine Güttler vom Rheinischen Archiv- und Museumsamt. Unterstützt wird sie bei der Sortierung von zwei "Ein-Euro-Kräften" ganz so, wie im Landesprogramm vorgesehen.
Nun wird - ob in der Maschine in Brauweiler oder von Hand wie in Neuss - mit einem wässrigen Verfahren samt alkalischer Festigungskomponente der Substanzverfall gestoppt. Aufwendig ist die Handarbeit: Auswahl, das behutsame, dreieinhalb Minuten lange Bad, Behandlung in der Handpresse, Trocknung über zwei bis drei Tage, unter Umständen das Verkleben von Rissen mit Japanpapier.
Jens Metzdorf muss entscheiden, welches Archivgut mit den begrenzten Mitteln des Stadtarchivs, die als Ergänzung für die Zuschüsse gefordert sind, behandelt werden kann. Seit den 50er Jahren ist die Papierqualität immerhin wieder gestiegen. Einen Ausreißer gab es allerdings danach noch: Das Umweltpapier ist für Archivare ein Gräuel.