„Rattenfänger verstärken Ängste der Bürger“

Dormagens ehemaliger Bürgermeister verurteilt Populismus in der Flüchtlingsfrage.

Foto: Lothar Berns

Herr Hoffmann, warum haben Sie sich an die Öffentlichkeit gewandt?

Peter-Olaf Hoffmann: Es hat mich gedrängt, Partei für die Flüchtlinge selbst und die vielen Helfer zu ergreifen, die sich gerade in Dormagen vorbildlich und unermüdlich darum kümmern, dass die Flüchtlinge menschenwürdig untergebracht sind. Gleichzeitig finde ich es unerträglich, wie Populisten wie Horst Seehofer oder aus der AfD laut nach Asyl-Obergrenzen, Grenzschließungen und zuletzt auch nach dem Schießbefehl gerufen haben. Darüber war ich fassungslos. Aus reiner Machtgier verstärken diese Rattenfänger die Ängste der Bürger.

Eine Obergrenze für Asylbewerber käme für Sie nicht in Frage?

Hoffmann: Das wäre zu kurz gedacht. Was passiert mit dem Flüchtling, der als Nächstes nach dem Erreichen der Obergrenze zu uns kommen will? Schicken wir den dann in sein Land zurück, wo Krieg und Terror auf ihn warten? Schließen wir die Grenzen und schießen auf ihn, wenn er versucht, trotzdem ins Land zu kommen? Wir sollten Flüchtlingen helfen, gerade als Deutsche.

Welche Rolle spielt die deutsche Vergangenheit mit dem Dritten Reich?

Hoffmann: Eine große Rolle, denn gerade wir sollten alles dafür tun, dass sich die Geschichte der Schreckensherrschaft der Nazis nicht wiederholt. Da sollte Extremismus sich von sich aus verbieten. Leider ist dem nicht so. Ich wünschte mir, die ehrlichen und aufrechten Demokraten in diesem Land würden sich in großer Zahl offen auch zum menschlichen Anstand bekennen, den Frau Merkel durch ihre Flüchtlingspolitik hochhält. Alle Demokraten sollten sich schützend vor Frau Merkel stellen, anstatt rechten und rechtsextremen Parolen nachzulaufen, hinter denen sich die Fratze der Unmenschlichkeit verbirgt.

Ist ein Missbrauch des Asylrechts zu verhindern?

Hoffmann: Die Tatsache, dass unsere Bürokratie versagt, den Flüchtlingsstrom „verwaltungstechnisch“ zu beherrschen und Missbrauch zu unterbinden, darf nicht der Vorwand sein, Flüchtlingen das Asylrecht zu verweigern. Jedoch sollte der Bund direkt an der Grenze feststellen, wer mit welcher Perspektive nach Deutschland kommt und nicht erst die Flüchtlinge auf die Länder und die Kommunen weiterverteilen. Da sehe ich Handlungsbedarf.

Wie beurteilen Sie die Verteilung der Flüchtlinge auf dezentrale Unterkünfte in Dormagen?

Hoffmann: Das Ziel sollte eine strukturelle Unterbringung der Flüchtlinge an Orten sein, die gut zu schützen und zu organisieren sind — und keine Verteilung auf möglichst kleine Einheiten, nur um alle Stadtteile zu berücksichtigen. Da geht es auch um Infrastruktur, Erreichbarkeit von Supermärkten und Bus-Linien. Da niemand ein Asylheim vor der Tür haben möchte, werden alle Anwohner etwas gegen Pläne in ihrem Ort vorbringen. Eine Turnhalle zu nutzen, muss eine Notlösung bleiben. Allerdings verstehe ich den Aufschrei der Sportvereine in anderen Städten nicht: Wo es um Leib und Leben geht, muss die Freizeit zurückstehen.

Hielten Sie größere Einrichtungen in Dormagen für besser, ungeachtet des möglichen Lager-Kollers?

Hoffmann: Ich habe wirklich bedauert, dass die Einrichtung „Wahler Berg“ nicht beschlossen wurde. Dort wäre auch der Schutz besser gewährleistet gewesen. Da habe ich die Diskussion für unehrlich gehalten, da es in Wahrheit nur darum ging, eine Flüchtlingsunterkunft überhaupt zu verhindern. Den gleichen Reflex gibt es jetzt wieder in Nievenheim. Dabei bieten uns die Flüchtlinge die Riesenchance, dem demografischen Wandel zu entgehen. Sie müssen nur eine berufliche und gesellschaftliche Perspektive erhalten. Da ist unser aller Zusammenhalt gefordert.