Stolpersteine erinnern an Familie Levy
Zur Verlegung reisten auch Nachfahren der jüdischen Kaufmannsfamilie aus Argentinien an.
Neuss. Deutsch war im Hause Levy immer die Sprache, in der sich Eltern und Kinder unterhielten. Das änderte sich auch nicht, als die jüdische Familie vor der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nach Argentinien fliehen musste und Deutsch zur Sprache der Mörder ihrer Glaubensgenossen wurde. Diese Brücke in die alte Heimat trägt bis heute. „In Deutsch fühle ich mich irgendwie Zuhause“, gestand Irene Schreck, eine Tochter der zum Zeitpunkt der Flucht 15-jährigen Lore Levy, am Montag vor dem Haus Büchel 48. Es war das letzte Wohnhaus der Familie Levy in Neuss.
Nun erinnern vier sogenannte Stolpersteine an das Schicksal der Kaufmannsfamilie Levy. Fertig sind sie seit mehr als einem Jahr, doch wurde mit der Verlegung gewartet, weil die Nachfahren dabei sein wollten. Irene Schreck verband den Besuch mit der Geschäftsreise ihres Mannes Ronny, der selbst Jude ist. Ihre Schwester Viviane Saginur und deren Ehemann Jorge wiederum bauten den Besuch in Neuss als Station in eine Europareise ein. „Es ist eine Ehre, dass Sie den weiten Weg aus Argentinien zu uns gekommen sind“, sagte Bürgermeister Reiner Breuer.
Vor dem Wohnhaus ihrer Großeltern trafen sich die Gäste aus Argentinien mit Regina van Opbergen (geborene Hodißen), einer Spielkameradin von Lore Levy, sowie mit Hertha Reinhart (geborene Uersfeld) und Friedel Onstein. Die inzwischen 95-jährigen Damen waren mit Lore Levy ab 1928 auf die höhere Mädchenschule Marienberg gegangen. Von dieser wurde sie an Ostern 1936 — trotz Versetzung in die Obertertia — verwiesen, und ihr jüngerer Bruder Manfred musste zeitgleich von der Oberrealschule abgehen.
Im Mai 1937 flohen die Levys. Das 1928 eröffnete Geschäft „Hosenkönig“ am Büchel hatten sie an einen Mitarbeiter verkauft. Zweidrittel der Summe wurden als „Reichsfluchtsteuer“ einbehalten, den Rest verschlang die Passage nach Buenos Aires. Mittellos und ohne Sprachkenntnis mussten Sally und Martha Levy und ihre Kinder von vorne anfangen. Aber sie fühlten weiter Deutsch, die Kinder besuchten eine deutschsprachige Schule.
Während Lore einen aus Hannover geflohenen Juden heiratete und in Argentinien blieb, wo sie auch ihre Töchter Deutsch lernen ließ, ging Bruder Manfred zurück und ließ sich 1972 als Architekt in München nieder. Gemeinsam besuchten die Geschwister Neuss, als die Stadt 1988 die ehemaligen jüdischen Mitbürger einlud. Später schickte Irene Schreck ihre Tochter Tamara (1995) und ihren Sohn Alan (1997) für ein halbes Jahr als Austauschschüler nach Neuss, wo sie in die Familie von Karl-Theo Reinhart kamen. „Erst da wurde uns klar, dass beide Enkel von einer Schulkameradin meiner Schwiegermutter waren“, sagt er. Der Gegenbesuch ist längst erfolgt, Freundschaft bleibt.