WZ-Interview: Ein Generalist in Berlin

Bijan Djir-Sarai ist neu im Bundestag. Und hat in fast einem Jahr doch schon einiges erlebt. Eine erste Bilanz.

Rhein-Kreis Neuss. Für Bijan Djir-Sarai hat in Berlin ein neues politisches Leben begonnen. Der Grevenbroicher wurde im September 2009 in den Bundestag gewählt und hat seitdem einiges erlebt - unter anderem die Wahl eines neuen Bundespräsidenten. Im WZ-Interview zog der FDP-Politiker eine erste Bilanz.

WZ: Herr Djir-Sarai, schlechte Umfragewerte bringen nicht nur Guido Westerwelle unter Druck. Wie erklären Sie sich, dass die FDP in der Wählergunst auf fünf Prozent geschrumpft ist?

Djir-Sarai: Wir haben Sympathisanten aus der konservativen Mitte verloren. Vor der Bundestagswahl konnten wir die Wähler gut mobilisieren. Das war ein Vertrauensvorsprung, den wir bisher nicht erfüllt haben.

WZ: Woran liegt es konkret?

Djir-Sarai: Wir haben außergewöhnliche Zeiten: die Folgen der Finanzkrise, Notkredite für Griechenland, ein Bundespräsident, der überraschend zurücktritt. Da ist es nicht einfach, Zustimmung zu gewinnen und enttäuschte Wähler wieder zurück zu holen. Die FDP hatte wochenlang keinen Generalsekretär, es gab handwerkliche Fehler.

WZ: Die Liberalen haben Vertrauen eingebüßt. Welche Rolle spielt da der ewige Koalitionsstreit?

Djir-Sarai: Die CDU hatte lange Zeit Probleme mit dem guten Wahlergebnis der FDP, das Klima war geprägt durch eine Mentalität des Nicht-Gönnens. Die Koalition hat den Fehler gemacht, nicht immer als Einheit aufzutreten. Ich bin grundsätzlich nicht gegen das Streiten, aber es muss konstruktiv sein. Für Streit um sinnlose Dinge habe ich kein Verständnis.

WZ: FDP-Chef Guido Westerwelle hat kürzlich erneut Steuersenkungen ins Spiel gebracht. Wie sehen Sie das?

Djir-Sarai: Eine Entlastung der Bürger ist richtig, so wird die Binnenwirtschaft angekurbelt. Aber wir dürfen uns nicht auf das Thema Steuersenkungen verengen lassen. Nötig ist eine echte Steuerstrukturreform. Wir müssen unser Steuersystem vereinfachen und den Schuldenabbau weiter vorantreiben.

WZ: Kommt die Debatte zum richtigen Zeitpunkt?

Djir-Sarai: Die FDP darf sich thematisch nicht einschränken. Sie steht nicht nur für gute Steuerpolitik. Wir müssen uns intensiver mit der Mittelschicht beschäftigen. Deren Ängste muss die Partei ernst nehmen und verstärkt auf liberale Sozialpolitik setzen. Zur Kernkompetenz der FDP muss aber auch eine moderne Umweltpolitik gehören, die Ökonomie und Ökologie in Einklang bringt.

WZ: Der Auswärtige Ausschuss im Bundestag, dessen Mitglied Sie jetzt sind, gilt ein wenig als die Königsdisziplin...

Djir-Sarai: Ja, das ist richtig. Der Ausschuss besitzt viel Verantwortung und entscheidet über sensible Themen.

WZ: Es geht auch um die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg plädiert für eine Aussetzung der Wehrpflicht. Wie halten Sie es da?

Djir-Sarai: Ich teile seine Auffassung. Die Aussetzung der Wehrpflicht ist eine Notwendigkeit. Auch ich bin dafür, dass die Bundeswehr professioneller und effizienter wird.

WZ: Wie sieht es mit der Bundeswehr in Afghanistan aus?

Djir-Sarai: Die Bundeswehr macht im Ausland eine gute Arbeit. Eine Abzugsperspektive für Afghanistan ist langfristig wichtig. Dies darf aber nicht kopflos und schnell geschehen. Wir haben da eine Verantwortung.

WZ: Sie haben im April den Konvoi mit Minister zu Guttenberg begleitet und die Truppen in Afghanistan besucht. Welchen Eindruck haben Sie bekommen?

Djir-Sarai: Afghanistan ist ein Land mit vielen Problemen. Die Reise wurde vom Tod der vier deutschen Soldaten überschattet, die durch einen Angriff der Taliban ums Leben kamen. Uns erreichte die Nachricht, als wir gerade im Helikopter saßen. Das war hart.

WZ: Hilft Ihnen Ihre persische Abstammung, die politischen Zusammenhänge im Mittleren Osten zu verstehen?

Djir-Sarai: Es hilft sicher, dass ich die kulturellen Hintergründe in der Region kenne. Es ist ein Gewinn, mehrsprachig zu sein. Wenn man mit dem Botschafter oder dem iranischen Vize-Außenminister Persisch spricht, wird man häufig konkreter.

WZ: Sie sind mit elf Jahren aus dem Iran nach Grevenbroich gekommen. Wie erinnern Sie sich an das Land, in dem Sie aufgewachsen sind?

Djir-Sarai: Der Iran hat mich sehr geprägt, auch politisch. Es gibt ein persisches Sprichwort: "Den wahren Wert des Wassers erfährt man erst in der Wüste." Damals habe ich erfahren, wie schützenswert die Demokratie ist.

WZ: Als Ausschussmitglied im Bundestag fliegen Sie im September zur Uno nach New York und in den Nahen Osten. Bleibt da noch Zeit für die Kommunalpolitik?

Djir-Sarai: Ja, natürlich. Als Bundestagsabgeordneter muss man Generalist sein. Mit einem kommunalpolitischen Hintergrund kann man in Berlin ganz anders argumentieren. Es ist wichtig, sich an der Basis auszutauschen.

WZ: Sie sagen, in den letzten Monaten ist viel passiert. Wie lief denn Ihre erste Rede im Parlament?

Djir-Sarai: Es ging um den Bundeswehreinsatz in Bosnien. Ein Freitagmorgen, kurz vor einer wichtigen Abstimmung. Ich war angespannt, aber nicht nervös. Nach den acht Minuten Redezeit war ich erleichtert und halbwegs zufrieden. Vor so einer Kulisse wie dem Reichstag hat man einfach Respekt.