Nette Nachbarn So klappt es mit der guten Nachbarschaft
Schiefbahn · Auf dem Mehrgenerationenplatz finden regelmäßig Feste statt, die Nachbarn helfen sich untereinander. Lebendige Nachbarschaft heißt das Erfolgsmodell gegen Einsamkeit. Was die Niederheide so besonders macht.
Als Erika Witt mit einem mehrfachen Beinbruch und im Rollstuhl aus dem Krankenhaus nach Hause kam, galt ihre Sorge vor allem ihrem Hund. Viele Wochen lang würde die 65-Jährige nicht laufen können, wer sollte in der Zeit dafür sorgen, dass der noch junge Golden Retriever Emily täglich bei einem langen Spaziergang toben und rennen konnte? Die Lösung klingelte am dritten Tag an der Tür. Dort standen Ulrike Ullmann und Jeannette Gniot. Sie kümmerten sich zunächst um den Hund und fanden dann über die Willicher Taschengeldbörse zwei Jugendliche, die bereit waren, regelmäßig mit dem Golden Retriever Gassi zu gehen. „Das tun die beiden Jungen noch heute“, sagt Erika Witt dankbar. Mit ihrem Besuch hatten Ulrike Ullmann und Jeannette Gniot bei Erika Witt bereits erreicht, wofür sie eigentlich gekommen waren: mit lebendiger Nachbarschaft gegen die Einsamkeit angehen.
Ulrike Ullmann lebt seit 30 Jahren in der Niederheide, Erika Witt seit 25 Jahren. „Trotzdem kannten wir uns nicht“, berichtet die 64-jährige Ulrike Ullmann. Zwar existierte einst eine Straßengemeinschaft, aber das letzte gemeinsame Fest wurde in den 90er-Jahren gefeiert, erinnert sich Karl-Heinz Spicker. Der 76-Jährige muss es wissen: Er wurde auf dem Hof seiner Familie in der Niederheide geboren und hat immer dort gelebt. Nach dem Krieg standen dort drei Häuser. Mit seiner Frau baute Karl-Heinz Spicker 1978 das gemeinsame Haus, als um sie herum noch ausschließlich Wiese war. Nach und nach wuchs jenseits ihrer Grundstücksgrenze das Wohngebiet. Elf Häuser stehen heute alleine in der kleinen Stichstraße mit dem Namen Niederheide.
Jeannette Gniot ist Quartiersmanagerin in Schiefbahn. Die Nachbarschaft Niederheide hat sich für sie zu einem Erfolgsmodell gegen Vereinsamung entwickelt. Im Mai 2022 gab es in Willich den ersten Workshop zum Thema Einsamkeit in der Stadt. Daraus wuchsen Ideen, etwa Stadtteile kleiner denken und Nachbarschaftsfeste auf die Beine stellen. Also druckte Jeannette Gniot Flyer und ging von Tür zu Tür. „Die Menschen waren sehr misstrauisch“, erinnert sich die Quartiersmanagerin. Beim zweiten Mal nahm sie jemanden mit, den die Niederheider kannten: Anwohnerin Ulrike Ullmann. So landeten sie dann auch vor Erika Witts Tür.
Inzwischen hat das dritte gemeinsame Fest auf dem Mehrgenerationenplatz stattgefunden. Gut 45 Erwachsene und zwölf Kinder feierten zuletzt im September in geselliger Runde. Jeannette Gniot hat ein Zelt gestellt, Anwohner haben Bierbänke und eine Musikanlage besorgt. Jeder brachte etwas zu Essen mit. Und was hat es bewirkt? Die Stimmung in der Niederheide ist besser, berichten einige Anwohner bei einem Treffen. „Viele Nachbarn haben mir gesagt, dass sie nun mit einem ganz anderen Gefühl durch den Stadtteil gehen“, sagt Ulrike Ullmann. „Man grüßt sich und kann stehenbleiben, um zu quatschen.“ Erika Witt ergänzt: „Die direkten Nachbarn kannte man, aber die anderen hat man vorher nicht zufällig getroffen und sich dadurch auch nicht unterhalten.“
Dabei ist das für viele ein wichtiger Aspekt. „Für uns ist das schon sehr wichtig“, sagt Tobias Strauch, der vor sieben Jahren mit seiner Frau und der damals nicht mal einjährigen Tochter her zog. „Anonymität ist nicht unsere Vorstellung von Leben.“ Er schätzt den Austausch, dass sich die Nachbarn untereinander aushelfen, beispielsweise mit Werkzeug. Das begrüßen auch Martin und Samira von Steinburg. Als das erste Fest gefeiert wurde, wohnten die beiden seit gerade einmal zwei Wochen in Niederheide. „Das Fest hat uns sehr geholfen, hier anzukommen“, sagt Martin von Steinburg. „Ich will wissen, wer hier wohnt. Das gibt ein gutes Gefühl, gerade, wenn man in den Urlaub fährt.“
Zu der neuen Nachbarschaftskultur gehört auch die gemeinsame Whatsapp-Gruppe „Hilfe untereinander“, in der sich die Anwohner austauschen und gegenseitig unterstützen, beispielsweise als Anfang des Jahres einige Keller unter Wasser standen oder es im Viertel einen Stromausfall gab oder wenn eine Katze vermisst wird.
Die Altersspanne der Nachbarschaft in der Niederheide ist groß. „Das war eine große Hürde, sich kennenzulernen“, sagt Tobias Strauch. „Beim Fest steht man plötzlich nebeneinander, und es fällt einem viel leichter, sich zu unterhalten. Der Erfolg hat sich auch an St. Martin gezeigt. „Da waren mindestens 70 Kinder zum Singen bei mir, die standen Schlange“, sagt Erika Witt und lacht.
Seit dem ersten Fest, das noch Jeannette Gniot initiiert und organisiert hatte, hat sich um Ulrike Ullmann ein Team gebildet, das die Planung und Ausführung weiterer Feste von der Quartiersmanagerin übernommen hat. „Das ist genau das, was ich wollte“, sagt Jeannette Gniot. „Ich habe den Anstoß gegeben, jetzt funktioniert es von selbst.“ Und das nächste Fest steht schon an: Am kommenden Wochenende feiern die Niederheider die Weihnachtszeit, mit Gulasch- und Kürbissuppe und Glühwein.