Wenn Nachbarn aufeinander aufpassen Nachbarschaft im Wandel

Meerbusch · Vor fast 60 Jahren wurde die Dichtersiedlung in Osterath gebaut. Damals zog auch Wolfgang Weiß mit seiner Frau ein. Aus ihren Nachbarn wurden schnell Freunde. Heute verständigt man sich in Whatsapp-Gruppen.

Wolfgang Weiß ist gut in seiner Nachbarschaft an der Goethestraße vernetzt.

Foto: Angelika Kirchholtes

„Ich merke den Wandel der Zeiten, aber unsere Nachbarschaft ist weiterhin intakt“, sagt Wolfgang Weiß, der seit fast 60 Jahren an der Goethestraße wohnt. Wie sehen die Menschen heutzutage den Wert der Nachbarschaft? Ist ihnen der soziale Zusammenhalt wichtig oder eher lästig?

Der 90-jährige Osterather hat eine klare Meinung zu dieser Frage: „Wenn man eine gute Nachbarschaft hat, kann man glücklich alt werden.“ Als er 1966 mit seiner Frau von Düsseldorf nach Osterath zog, entstand gerade das neue Dichterviertel. Flachdach-Bungalows und Reihenhäuser wurden entlang des Kalverdonks gebaut, wo bisher Landwirtschaft getrieben wurde. Lediglich die alte Bockstation, ein kleines historisches Fachwerkgebäude, das das Künstlerehepaar Hans und Rita Körholz 1962 erstanden hatte, befand sich auf dem Feld. „Der Kauf unseres Hauses erwies sich als Glücksfall“, unterstreicht der rüstige Senior. Denn aus den bald hinzugezogenen Nachbarn wurden schnell Freunde, mit denen man Handwerkszeug und Bautipps austauschte, aber auch regelmäßig feierte. Zehn Jahre Goethestraße, 25 Jahre und sogar 50 Jahre wurden gefeiert, aber auch spontan fand man sich immer wieder zusammen, zu Karneval, Geburtstagen oder spontan zum Umtrunk. „Wir waren alle in einem ähnlichen Alter, hatten kleine Kinder und stammten aus dem gleichen sozialen Milieu“, erklärt Weiß.

Die Kinder spielten zusammen auf der Straße, rodelten im Schnee. Die Gärten waren offen, und man plauderte über den niedrigen Jägerzaun hinweg. „Damals waren die Frauen noch nicht berufstätig und fanden sich schnell zu Aktivitäten zusammen“, erzählt er weiter. Gerade war Tennis modern, dann kam das Golf spielen und reiten. „Besonders gerne trafen sich unsere Frauen zum Bridge spielen“, ergänzt er. Oder bei Körholz in der Bockstation, die sich zum künstlerischen Treff entwickelte.

„30 Jahre war die Partybegeisterung Teil der Goethestraße“, sagt Weiß. Sie gibt es in dieser Form nicht mehr, auch weil viele Nachbarn alt, andere gestorben oder weggezogen sind. Neue Familien sind zugezogen, in anderen Häusern wohnen nun die Kinder und Enkel. Die Jungen hätten einfach viel weniger Zeit, um Kontakte zu knüpfen, die Frauen seien berufstätig, sagt Weiß.

Doch die Nachbarschaft funktioniere immer noch, wenn auch auf völlig andere Art. „Die Jüngeren vernetzen sich mit WhatsApp und bleiben so in Kontakt“, erzählt er. Glühwein zu St. Martin und Treffen auf dem Wendehammer kämen immer mal wieder zustande, wenn auch nicht so häufig wie früher. „Kontinuität im Wandel“, nennt Weiß das. Zwar verändere die Goethestraße ihr Gesicht, doch das Gefühl der Zusammengehörigkeit bleibe.

Außerdem schätzt Weiß, der seit sechs Jahren Witwer ist, dass immer einer der Nachbarn zur Stelle sei, wenn man etwas brauche. Sei es Tomaten oder einen Ratschlag zum Benutzen des Smartphones. „Ich bin gut vernetzt“, sagt er und lächelt. Eine gute Nachbarschaft sei keine Einbahnstraße. Er sei immer auf Zugezogene zugegangen und habe sie begrüßt. Dass sich manche Neuen nicht einmal vorstellten oder grüßten, empfindet er als Unhöflichkeit. „Ja, die Anonymität nimmt zu“, hat er festgestellt. Er sehe jedoch das Positive einer intakten Nachbarschaft.

Neben den persönlichen Gesprächen und Aktivitäten sei es gut, wenn man auf den Nachbarn achte und helfe, wenn es notwendig erscheint. Wenn er in Urlaub sei, etwa mit seinen Söhnen in China oder Südamerika, versorgen seine Nachbarn sein Haus und seinen Garten. Wichtig sei auch, dass die Nachbarn einen Blick aufeinander hätten. „Einmal standen plötzlich zwei Polizisten abends bei uns im Schlafzimmer. Die Nachbarn hatten sie gerufen, weil bei uns die Haustür sperrangelweit offen stand“, erzählt Weiß.

Wie sagte doch Bürgermeister Jürgen Eimer zum 50-jährigen Bestehen der Siedlung: „Ähnlich wie unsere Vereine sind Nachbarschaften ein echtes Stück Meerbuscher Heimat - ein Ort, wo man sich zu Hause fühlen und leben kann mit dem guten Gefühl ‚Hier gehöre ich hin‘.“