Alltäglicher Kampf So schwer haben es Alleinerziehende in NRW
Düsseldorf/Pulheim · Drei Frauen aus drei Städten in NRW berichten von ihrem täglichen Kampf, Familie und Beruf unter einen Hut zu bringen. Ein Projekt in Essen macht Hoffnung.
Als Esther Hilsberg Witwe wurde, war ihr kleiner Sohn gerade neun Monate alt. „Mein Mann schlief abends friedlich ein und wachte einfach nicht mehr auf“, berichtet sie leise. Herzmuskelentzündung, unentdeckt. Von jetzt auf gleich war im Leben der Kölnerin nichts mehr so, wie es geplant war. Wie sie es sich gewünscht hatte. Sie ist Opernsängerin und Intendantin, arbeitet vor allem abends und am Wochenende. Sie war immer gern auf Tournee. Inzwischen sind vier Jahre vergangen, in denen sich Hilsberg zwischen abendlichen Proben, Aufführungen am Wochenende, dem Haushalt und der Kita aufgerieben hat. Und trotzdem immer das Gefühl hat, nichts klappt richtig.
Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes rollte damals eine Welle der Hilfsbereitschaft an, „die auch ganz toll ist“, sagt sie. Doch eine Freundin, die in einer ähnlichen Lage gewesen war, warnte sie: Das hält genau sechs Monate an – in zwei Jahren hat keiner mehr Verständnis. Und so kam es. Inzwischen muss sich die 43-Jährige von Bekannten, deren Männer häufig auf Dienstreise sind, erklären lassen, sie selbst seien doch praktisch auch zeitweise alleinerziehend und das schaffe man alles. Sie lächelt schief und schüttelt den Kopf.
Esther Hilsberg zog mit dem kleinen Lucas damals nach Pulheim, um näher an ihrem Arbeitsplatz zu sein – der dort ansässigen Kammeroper Köln, deren Intendatin sie ist. Dort gibt es, sagt sie, eine einzige Kita, die bis 17 Uhr öffnet. Dort bekam sie keinen Platz. Lucas’ Kindergarten macht um 16 Uhr zu. „Er ist andauernd mit im Theater“, sagt die Mutter. Auch bis zum späten Abend. „Jetzt am Wochenende haben wir zwei Vorstellungen vom ,Karneval der Tiere’ – die muss er sich beide angucken. Oder darf. Noch findet er es zum Glück super.“ Der fast Fünfjährige will selbst aber nicht Opernstar werden. „Nö!“, sagt er, „Schlagzeuger!“ Esther Hilsberg streicht ihm übers Haar. „Was ich ihm überhaupt nicht geben kann, ist ein geordneter Wochenablauf. Aber ich kann es mir nicht leisten, für alles eine Kinderfrau zu bezahlen.“
Zweimal pro Woche kommt eine Babysitterin, einmal eine ehrenamtliche Ersatz-Oma. Mehr geht nicht. Lucas’ Halbwaisenrente wird vom Unterhaltsvorschuss abgezogen, erklärt Hilsberg, mit Kindergeld und allem drum und dran habe sie 280 Euro Unterstützung im Monat. Sie weiß, dass der Staat mehr zahlen würde, wenn sie Hartz IV beantragt. „Aber das ist nicht meins. Ich arbeite gern – und das will ich auch meinem Sohn beibringen.“
Aber dass alles irgendwie zu schaffen ist, sieht sie nicht. „Es ist nicht schaffbar. Alles ist ein Riesenkompromiss“, sagt sie. „Man zerreißt sich so dermaßen – und trotzdem habe ich immer ein schlechtes Gewissen.“ An sich selbst denkt sie wenig. „Ich nehme immer nur einen Babysitter, um zu arbeiten. Einmal in den vergangenen vier Jahren, als meine Mutter aus Berlin da war, bin ich allein ins Kino gegangen.“ Sport hat sie völlig drangegeben. Den Gedanken, irgendwann einmal wieder einen Mann kennenzulernen, auch. „Ich lerne überhaupt keine Leute kennen. Wo denn?“
Ein Jahr nach dem Verlust ihres Mannes hatte Esther Hilsberg selbst einen Schlaganfall, kämpft seither gegen eine Taubheit im Gesicht, die ihre Gesangskarriere stark beeinträchtigt. Bitterkeit will sie dennoch nicht aufkeimen lassen. „Ich bin nur wütend darüber, dass die Regierung kein Gefühl für das hat, was man im täglichen Leben eigentlich braucht.“ Eine Alleinerziehende als Familienministerin, das täte Deutschland vielleicht gut. „Dann bewegt sich etwas“, glaubt Hilsberg. Ein Modell mit Kinderbetreuung außerhalb der Kita wie in Essen, wo Ehrenamtler seit 2014 in Randzeiten in die Familien gehen, „das wäre perfekt“.
Auch für Charlotte Daugstrup aus Düsseldorf. Die vierfache Mutter und Alleinerziehende hatte eigentlich mehrere Karriereoptionen: Gelernte Versicherungskauffrau ist sie, Hebamme ebenfalls. Doch obwohl dieser Berufsstand so gefragt ist wie nie, musste sie ihren Job an den Nagel hängen. „Ich kann keinen Schichtdienst leisten“, sagt die 50-Jährige. Jetzt arbeitet sie in einer Boutique auf der Königsallee – und auch das geht nur, weil sie sich eine geregelte Arbeitszeit bis 16 Uhr erkämpft hat. „Dafür muss ich jeden Samstag arbeiten, was ein Riesenproblem ist.“
Ihr siebenjähriger Sohn wird mal von den älteren Kindern betreut, mal von Freunden. „Das mache ich seit fünf Jahren so“, berichtet die Düsseldorferin. Der Vater nehme den Umgang war, „aber nicht verlässlich“. Zudem wohne er 80 Kilometer entfernt und könne nicht spontan einspringen. Seit der Kleine in die Grundschule geht, ist der Alltag noch stressiger geworden – vorher im Kindergarten musste er bis 16.30 Uhr abgeholt werden, nun um spätestens 16.15 Uhr. „Das ist selbst mit meinem kurzen Arbeitsweg knapp“, sagt Daugstrup. „Ich habe es schon erlebt, dass ich an der Schule ankam und mein Kind weg war.“ Er war allein losgelaufen nach Hause, über mehrere große Straßen, „obwohl er das absolut nicht darf“.
Noch mindestens bis zum Ende der Grundschulzeit wird sich Charlotte Daugstrup mit ihrem Betreuungsflickwerk durchschlagen müssen. Und mit einem Teilzeitjob. „Das hat natürlich finanzielle Konsequenzen“, verdeutlicht sie. „Im Jetzt, aber auch für meine Rente.“ Der Vater zahle keinen Unterhalt, eine private Vorsorge als Zusatz zur kleinen gesetzlichen Rente sei zurzeit undenkbar. „Es ist der normale Wahnsinn von Alleinerziehenden“, sagt Daugstrup.
Dass dieser Wahnsinn durch die richtige staatliche Unterstützung zumindest entzerrt werden kann, hat Anke Quast erlebt. Sie wohnt in Essen-Borbeck und hat von dem Modellprojekt „Sonne, Mond und Sterne“ des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter (Vamv) profitiert, bei dem „Kinderfeen“ in die Einelternfamilien gehen, um außerhalb der Kita- und Schulzeiten zu helfen. Ihr Mann erlitt vor drei Jahren auf der Arbeit plötzlich einen schweren Herzinfarkt und starb. Quasts Tochter war damals acht Jahre alt. „Er starb an einem Donnerstag, Freitag begannen die Herbstferien – und zwei Wochen später waren wir so weit aufgestellt“, sagt die heute 50-Jährige. Wie Sängerin Esther Hilsberg hat sie gelernt: Wenn man plötzlich allein eine ganze Familie managen muss, nimmt man sich keine Zeit zum Trauern: „Ich hatte Angst, ich gehe sonst unter.“
Eine Freundin hatte sie an den Vamv verwiesen und sie kam sofort in das Modellprojekt, hat seither ein Zeitkontingent von zehn bis 15 Stunden pro Woche, in denen sie die „Kinderfee“ in Anspruch nehmen kann. Seither kommt eine Rentnerin aus der Nachbarschaft, die inzwischen zum Großelternersatz geworden ist. Und zum Glück sehr flexibel. Denn Quast ist Fleischereifachverkäuferin, arbeitet zwar nur 25 Stunden – aber mal ab 7 Uhr morgens, mal bis 21 Uhr abends. Ihr Chef könne ihr nicht immerzu entgegenkommen: „Das kann man dem restlichen Personal gegenüber nicht machen.“ Doch dank Kinderfee kann ihre Tochter jetzt mittags aus der Gesamtschule nach Hause kommen. „So hat sie einen Ruhepol.“ Die Kosten übernimmt das Jugendamt, Anke Quast hat keine Extraausgaben. Ein Angebot, auf das Esther Hilsberg und Charlotte Daugstrup bei ihrer täglichen Zerreißprobe weiter warten und hoffen.