Expressionist, Surrealist, Fantast und Schöpfer bunter Traumwelten: Für Marc Chagall (1887-1985) gibt es viele künstlerische Zuschreibungen. Im 40. Todesjahr des berühmten russisch-französischen Malers zeigt die Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen rund 120 Werke Chagalls aus allen Schaffensphasen. Der Schwerpunkt liegt auf den frühen Arbeiten zwischen 1910 und 1923, die die weniger bekannte, dunkle und gesellschaftskritische Seite Chagalls zeigen.
Die Düsseldorfer Ausstellung „Chagall“ (15. März bis 10. August) entstand in Kooperation mit der Albertina in Wien, wo sie in anderer Form bis Februar zu sehen war und nach Angaben der Kunstsammlung rund 500.000 Besucher anzog.
„Ausnahmetalent der Moderne“
Chagall gehöre zu den wichtigsten, aber auch beliebtesten Künstlern des 20. Jahrhunderts, sagte Kunstsammlungschefin Susanne Gaensheimer. Für die Ausstellung seien Schlüsselwerke dieses „Ausnahmetalents der Moderne“ aus den großen westlichen Museen ausgeliehen worden. Leihgaben aus Russland waren wegen des Abbruchs der kulturellen Kontakte infolge des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine nicht möglich.
In Chagalls rätselhaften und farbenprächtigen Bildwelten schweben Liebespaare und Engel durch die Luft, tauchen immer wieder russische Dörfer und folkloristische Szenen auf, sind die übergroßen oder winzig kleinen Menschen verbogen oder haben den Kopf buchstäblich verloren. Esel sind grün, Kühe rot und ein blaues Pferd fliegt durch die Luft. Chagall malte alttestamentarische Szenen und den jüdischen Alltag in seiner Heimat, aber auch geheimnisvolle Bilder von Mensch-Tier-Paaren.
Folklore und Gewalt
Chagall wuchs in der Kleinstadt Witebsk (im heutigen Belarus) als ältestes Kind einer armen jüdisch-orthodoxen Familie auf. Zeitlebens blieb Witebsk sein Bezugspunkt und Sehnsuchtsort. Seine Bilder erzählen vom Alltag und Gebräuchen, aber auch von Gewalt und Pogromen. Es wird geprügelt, getrunken, prostituiert und uriniert.
Unverkennbar sind Chagalls Anleihen an den Fauvismus und Kubismus in seinen frühen Pariser Jahren, die er mit jüdischen Motiven und russischer Folklore zu einem ganz eigenen märchenhaften Stil verband. Das war einzigartig in seiner Zeit, Chagall wurde schon in den 20er Jahren ein Liebling der Galeristen und Sammler.
In seiner frühen Phase vor dem Ersten Weltkrieg malte er im kubistischen Stil mit Anleihen an Delaunay, aber auch verstörende Bilder wie eine Kindeskreuzigung, ein rot brennendes Haus mit einem davonfliegenden Fuhrwerk oder Russland mit einem Esel auf dem Dach einer Hütte und einer kopflosen fliegenden Frau.
Das Geheimnis des Erfolgs
Eine Einladung der Surrealisten, sich ihrer Gruppe anzuschließen, lehnte Chagall ab. Er baute sich schon früh in Paris ein Netzwerk zu den wichtigen Künstlern und Literaten auf, obwohl er kein Französisch sprach. Die einzigartige Verbindung seiner Erinnerungen an das jüdische Witebsk mit einer strahlenden Farbigkeit und surrealen Elementen wurden Grundlage des Erfolgs von Chagall.
Ausgangspunkt der Düsseldorfer Ausstellung sind drei frühe Gemälde Chagalls im Besitz der Kunstsammlung: der „Geigenspieler“, „Rabbiner mit Zitrone (Festtag)“ und ein Selbstbildnis von 1909, das Chagall noch in seiner Zeit in St. Petersburg malte.
Chagall fasziniert bis heute
Das Schaffen Chagalls, der 97 Jahre alt wurde, erstreckte sich über 80 Jahre. Die Kunstsammlung und das Albertina Museum zeigen, dass er viel mehr war als der Maler süßlicher blauer Bilder mit Blumensträußen und schwebenden Brautpaaren oder Meerjungfrauen, die natürlich auch in Düsseldorf zu sehen sind.
Auch als älterer Künstler kam neben farbenfrohen romantisierenden Bildern Chagalls dunkle Seite wieder hervor. In seinem dunklen großformatigen Gemälde „Exodus“ tauchen all seine frühen Motive wieder auf - Brautpaar, Fuhrwerk, Gockel und Kalb, die Kreuzigung des jüdischen Jesus.
Was macht die Faszination Chagalls bis heute aus? „Das Unerklärlich-Fanstastische ist ein wesentlicher Aspekt für seine Beliebtheit“, sagt Gaensheimer. „Aber auch die ungewöhnliche Farbigkeit.“ Chagall bleibe ein „unerklärliches Rätsel auch für die eigene Interpretation“. Kuratorin Susanne Meyer-Büser hat folgende Erklärung: „Diese Bilder sind Türöffner in Traumwelten“.
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