Serie NET-te Menschen: Julietta Breuer Wer brennt, kann andere entzünden

Nettetal · Julietta Breuer, Deutsch- und Geschichtslehrerin an der Gesamtschule Nettetal, steht vor allem für Erinnerungskultur. Sie hat schon viele junge Menschen motiviert, sich mit Geschichte und der eigenen Herkunft auseinanderzusetzen.

Julietta Breuer neben Kater Diego auf der Couch. An den Wänden hängen Gemälde von Wilhelmine Spolders aus Leuth und dem kurdischen Künstler Waleed Ibrahim aus Willich.

Foto: Heribert Brinkmann

Julietta Breuer ist eine begeisterte Lehrerin – und anscheinend auch eine begeisternde. Denn sie hat bei ihren Schülerinnen und Schülern nicht nur Interesse für sperrige Themen geweckt, sondern sie vielfach zu eigenen Aktivitäten auch außerhalb der Schule angespornt. Die Deutsch- und Geschichtslehrerin an der Gesamtschule Nettetal gehört heute zu den dienstältesten Lehrerinnen. Vom Konzept der Gesamtschule überzeugt, ist sie seit den Anfangsjahren dabei. Eigentlich wollte sie nur zwei Jahre bleiben, daraus wurden bis heute 27 Jahre.

„Ich habe vier Schulleiter erlebt“, erzählt sie in ihrem Wohnzimmer in Süchteln. „Ich bin heute 60 und habe fast mein halbes Leben in Nettetal verbracht“, stellt sich selbst fast überrascht fest. Und kritisch gemeint ist das auch nicht. Auf Lehramt zu studieren, sei die beste Entscheidung ihres Lebens gewesen. „Ich habe meine Berufung gefunden.“ Sie ist kein bisschen dienstmüde, aber kokettiert auch nicht damit.

Mittlerweile hat sich Diego, der schwarze Kater ihrer Tochter Nina, auf der Couch gemütlich gemacht. Die Tochter ist über die Feiertage zu Besuch gekommen. Julietta Breuer, Mutter einer Tochter und eines Sohnes, ist ein Kind der Eifel. 1964 in Nideggen geboren, machte sie in Schleiden ihr Abitur. Auf dem Schulweg kam sie an Vogelsang vorbei, der NS-Ordensburg für die Ausbildung des Führungskaders. In Münster begann sie Kunstgeschichte und Politikwissenschaften zu studieren, wechselte dann aber nach Bonn, wo sie Germanistik und Geschichte belegte – und vor allem Didaktik.

Dort traf sie auf Annette Kuhn, die Pionierin in der Erforschung der Frauengeschichte. Kuhn erhielt in Bonn den ersten Lehrstuhl für Frauengeschichte. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin forschte Breuer zur 2000-Jahrfeier von Bonn 1989 mit an einem Stadtrundgang zu Bonner Frauen mit. Als das Buch „Chronik der Frauen“ 1992 erschien, hielt Angela Merkel vor der Presse eine Ansprache. Im Kabinett Kohl war sie damals Bundesministerin für Frauen und Jugend geworden.

Als Rucksacktouristin entdeckte Julietta Breuer 1992 die Türkei; Istanbul wurde ihre Traumstadt. Nach dem Lehrerseminar im Schönwasserhaus in Krefeld und einer „tollen Zeit“ im Referendariat versuchte sie, einen Platz an einer deutschen Schule in der Türkei zu ergattern. Ein Angebot für Adana an der Grenze zu Syrien sagte sie ab. Sie pokerte hoch und gewann. Es klappte mit Istanbul. An der von Genscher gegründeten Schule für Rückkehrerkinder mit Deutsch als erster Fremdsprache unterrichtete Breuer vier Jahre lang.

1997 kam sie zurück und ging nach Nettetal an die Gesamtschule, die sich noch im Aufbau befand. Schulleiter Roland Schiefelbein legte ihr Berichte vom „Zug der Erinnerung“ und den Anfängen der Aktion Stolpersteine ins Fach. Er war sehr an Geschichte interessiert. Was macht Schüler betroffen? Geschichten für ihre Altersklasse. „Wir müssen die Schüler im eigenen Leben abholen“, stellt Breuer fest. Sie begann mit den Tagebüchern der Anne Frank. Sie schickte ihre Schülerinnen und Schüler auf Spurensuche.

Welche Fluchtgeschichten oder Kriegserlebnisse wurden zu Hause erzählt? Wenn die Kinder und Jugendlichen ein Bewusstsein für ihre Wurzeln entwickelten, empfand ihre Lehrerin solche Momente als Sternstunden des Unterrichts. Mit eigenen Familiengeschichten, Lokal- und Gegenwartsbezügen lassen sich junge Menschen motovieren. So wurde die Umgebung der Schule erforscht. Wo hat die niedergebrannte Synagoge gestanden? Die jüdische Gemeinde in Breyell wurde von den Nationalsozialisten fast völlig ausgelöscht. Wo lebten sie und wie hießen sie? Dazu waren eigene Recherchen außerhalb der Schule notwendig. Im Kreisarchiv in Kempen und in Publikationen zur Ortsgeschichte wurden sie fündig. Aber es gab auch Mitstreiter. Für die ersten Stolpersteine in Breyell sorgte die CDU-Ortsvorsteherin Vera Gäbler. Und auch Pfarrer Andreas Grefen beteiligte sich an der Erinnerungsarbeit, die an der Gesamtschule großgeschrieben wurde. Aus der eigenen Recherche an der Schule entwickelte sich ein Leistungskurs Geschichte in der Oberstufe, vier Absolventen studierten anschließend Geschichte. Natürlich gibt es auch eine Julietta Breuer außerhalb der Schule. Sie beschreibt sich selbst als überaus reiselustig. Am besten gefällt es ihr, wenn sie Reisen und Geschichte miteinander verbinden kann. So stand sie auf Kuba an der Bucht von Bariay, dort wo Columbus landete. Oder am Ufer des Yamuna, wo die Asche Gandhis begraben ist. In Istanbul besuchte sie das Sterbebett Atatürks. In ihrem Sabbatjahr bereiste sie Südamerika. Aber auch in Deutschland ist sie unterwegs, etwa auf den Spuren von Goethe und Schiller in Weimar oder am Bodensee zu Annette von Droste-Hülshoff.

Die Erinnerungskultur hört für sie auch nicht an der Schule auf. Als zweite Vorsitzende im Verein Förderung der Erinnerungskultur Viersen 1933-45 setzt sie sich für eine virtuelle Gedenkstätte ein. Dabei betreut sie auch Kooperationsschulen in Viersen.

Das Schulische und Ehrenamtliche verbinden sich. Auch in Nettetal hat ihr Engagement viele Spuren hinterlassen, etwa bei der interkulturellen Woche oder zur 900-Jahrfeier in Breyell. Ihre Stimme erhebt sie aber auch im Nettetaler Kosimi-Chor.