Interview Ärztefehler: „Die Schmerzensgelder sind ein bisschen zu niedrig“
Der Wuppertaler Arzt und Gutachter Prof. Johannes Köbberling hat ein Buch über Behandlungsfehler und Haftung geschrieben.
Wuppertal. Kaum ein Thema ist emotional so aufgeladen wie das tatsächlicher oder vermeintlicher Behandlungsfehler von Ärzten. Die sogenannte Regenbogenpresse ist voll von Fällen, denen Patienten von ihren leidvollen Erfahrungen und darüber berichten, dass sie gegen Ärzte und deren Versicherungen auf der Strecke bleiben. Und während es in den USA in solchen Verfahren um hohe Millionenbeträge geht, müssen sich Patienten in Deutschland im Falle nachgewiesener Fehler mit vergleichsweise geringen Entschädigungen begnügen. An dieser Stelle ist das Verhältnis von Arzt und Patient schwierig.
Der renommierte Wuppertaler Mediziner Prof. Johannes Köbberling (76) befasst sich in seinem Buch Behandlungsfehler und Arzthaftung mit diesem Thema. Er wolle versachlichen und vermitteln, sagt er im Gespräch mit der Westdeutschen Zeitung.
Herr Köbberling, für wen haben Sie dieses Buch geschrieben?
Köbberling: Sowohl für Ärzte als auch für Patienten. Beiden gebe ich Ratschläge, wie sie sich im Falle eines echten oder vermeintlichen Behandlungsfehlers verhalten sollten.
Und was sollen Patienten demnach tun?
Köbberling: Sie können sich beispielsweise an die Gutachterkommissionen der Ärztekammern wenden. Wichtig erscheint mir die Empfehlung, keine Strafanzeige gegen den Arzt zu stellen. „Den zeig’ ich an“ ist ein eher gefährlicher Impuls.
Wieso das?
Köbberling: Weil das Strafverfahren ein Zivilverfahren blockiert. Dem Patienten geht es aber in der Regel in erster Linie um Schadensersatz oder Schmerzensgeld. Wenn der Arzt strafrechtlich verurteilt wird, was übrigens vergleichsweise selten der Fall ist, gehen Geldstrafen oder Bußgelder an den Staat.
Und was sollte der Arzt tun?
Köbberling: Für viele Ärzte stellt die Feststellung eines Fehlers eine schwere Kränkung dar. Mancher ist deshalb versucht, einen Fehler zu vertuschen. Ich halte das für verwerflich.
Was sollte der Arzt stattdessen tun?
Köbberling: Er sollte sich sagen, dass Fehler menschlich sind, und dass dies auch für Ärzte gilt. Er sollte alles dafür tun, dass sich ein ähnlicher Fehler nicht wiederholt. Im konkreten Fall sollte er helfen, den Sachverhalt aufzuklären und eine Klärung durch die Gutachterkommission unterstützen. Dabei sollte er schon im Falle des Verdachts auf einen Fehler seine Haftpflichtversicherung informieren, damit der Patient gegebenenfalls einen Ausgleich erhält.
Das funktioniert aber nicht immer so.
Köbberling: Und das liegt oft nicht an den Ärzten, sondern an deren Versicherungen. In dem Versuch, einen entstandenen Schaden nicht bezahlen zu müssen, bemühen sie manchmal die Gerichte, obwohl die Sachverhalte ganz klar sind.
Sie sind Mitglied der Gutachterkommission für die Ärztekammer Nordrhein. Wie viele Fälle landen im Jahr bei Ihnen?
Köbberling: Das sind etwa 2000 Fälle im Jahr, unter denen bei etwa einem Drittel ein Behandlungsfehler festgestellt wird.
Sie begutachten die Arbeit von Kollegen.
Köbberling: Ja, ja, ich weiß. Man sagt, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Ich kann aber guten Gewissens versichern, dass wir neutral begutachten, also besonders auch die Interessen der Patienten im Auge haben. In der Regel kennen wir die Kollegen, deren Arbeit wir untersuchen, nicht. Ich habe aber auch kein Problem damit, es einem Kollegen persönlich zu sagen, wenn ihm unserer Meinung nach ein Behandlungsfehler unterlaufen ist.
Was genau ist eigentlich ein Behandlungsfehler?
Köbberling: Eine Behandlung, die von allgemein anerkannten Standards abweicht. Der Begriff Behandlung schließt dabei neben der Therapie auch die Indikationsstellung, die Diagnostik und die Nachbehandlung ein. Die größte Schwierigkeit für die Gutachter liegt darin, zu erkennen, ob ein Gesundheitsschaden tatsächlich durch einen Behandlungsfehler entstanden ist und nicht etwa nur Ausdruck einer schicksalsmäßigen Verschlechterung im Krankheitsverlauf.
In den USA führen solche Fehler zu Millionenentschädigungen. Täuscht der Eindruck, dass wir in Deutschland auf demselben Weg sind?
Köbberling: Ja, ich glaube, der Eindruck täuscht. Hier geht es doch um deutlich andere Summen. Meiner Meinung nach sind Schmerzensgelder bei uns häufig eher ein bisschen zu niedrig.
Woran kann ein Patient einen guten Arzt erkennen?
Köbberling: Diese Frage ist sehr schwierig zu beantworten. Vielleicht erkennt man ihn an seinen Reaktionen auf eine Nachfrage. „Weil ich das sage“, ist nie eine gute Antwort, etwa auf die Frage, warum ein Arzt etwas verschreibt. Gute Ärzte sind offen für ein Gespräch, wenn ein Patient Zweifel hat.
Sie schildern in Ihrem Werk viele authentische Fälle aus der Gutachterkommission.So ein Buch über Behandlungsfehler und Arzthaftung könnte den Eindruck erwecken, dass es um die Ärzteschaft in Deutschland nicht gut bestellt ist.
Köbberling: Das macht es aber nicht und das ist ganz bewusst nicht beabsichtigt. Ich habe dieses Buch gerade mit dem Ziel geschrieben, das gute und auch sachlich begründete Vertrauensverhältnis zwischen Patient und Arzt zu erhalten.