Wuppertalerin erinnert sich Als die Bomben der Luftwaffe auf Vohwinkel fielen
Wuppertal · Ursula Osteritter war fünf Jahre alt, als zum Jahreswechsel 1944 zwei Bombenangriffe Vohwinkel erschütterten: „Wir haben im Keller ausgeharrt und uns ganz festgehalten.“
„Wir haben im Keller gesessen, uns alle ganz fest umarmt und nicht losgelassen. Wir haben gehört, wie draußen die Bomben niedergegangen sind. Wir haben miterlebt, wie der Kamin eingebrochen ist und der ganze Keller von einer Rußwolke eingenommen wurde. Wir waren von oben bis unten schwarz und haben nur überlebt, weil in dem Keller Sauerkraut eingelagert war, das wir gegessen haben und das die Atemwege wieder frei gemacht hat. Es war so schlimm. Ich war erst fünf Jahre alt, aber daran erinnere ich mich noch ganz genau.“
Knapp 150 britische Bomber warfen rund 1500 Sprengbomben ab
Vor 80 Jahren erschütterten zwei Bombenangriffe auf Vohwinkel den Wuppertaler Westen. Etwa 150 britische Bomber warfen am Silvestertag 1944 rund 1500 Sprengbomben ab. Ziel waren die Bahnanlagen, genauer gesagt der Rangierbahnhof in Vohwinkel, der 1907 seinen Betrieb aufgenommen hatte. Weil eine dichte Wolkendecke die Sicht beeinträchtigte, blieben die Zerstörungen überschaubar, nach Angaben des Vereins zur Erforschung der Sozialen Bewegungen im Wuppertal wurden sieben Häuser zerstört und 26 schwer beschädigt. Doch am nächsten Abend, dem 1. Januar 1945, kehrte die Luftwaffe zurück, zerstörte einen Großteil der Gleisanlagen, Stellwerke und Brücken, „auch der Schwebebahnhof und die Werkstatt sowie die Schwebebahnstrecke wurden schwer getroffen“, etwa 200 Menschen starben. Viele überstanden jedoch den Angriff auf Vohwinkel, unter ihnen Ursula Osteritter. Die heute 85-Jährige erzählt von einem Geschehen, das sich viele junge Menschen nicht mehr vorstellen könnten, sagt sie. „Es ist schwer zu begreifen, dass es damals in Wuppertal auch so ausgesehen hat, wie jetzt in Israel und in der Ukraine.“
Ein Geschehen, das sich für Ursula Osteritter am Hasnacken und der Tescher Straße abspielte. Wobei „abspielen“ für die Grauen des Krieges eine zynische Formulierung sein dürfte. „Wir waren eine fünfköpfige Familie, drei Schwestern und meine Eltern. Mein Vater musste zum Glück nicht in den Krieg ziehen, weil er schlecht sehen konnte, aber er war dafür zuständig, die Toten aus den Kellern zu holen, mitten im Schnee hat man sie auf einer Schicht aus Alufolie aufgebahrt. Ich dachte immer, dass sie schlafen, der Tod war in meiner frühen Kindheit noch nicht greifbar.“
Die Stadthalle diente als Unterschlupf für die Familie
Weil das Haus, in dem die Familie lebte, keinen Keller besaß, „sind wir ins Nachbarhaus geflüchtet, der hatte einen Felsenkeller und war durch die Bauweise etwas geschützter, weil er den Druck besser aushielt“. Obwohl ihr Wohnhaus bei den Angriffen nicht ausgebombt wurde, war es nicht mehr bewohnbar, weil die Türen und Fenster zerbarsten. „Wir wurden in die Stadthalle in Elberfeld gebracht – ob wir dafür durch den Schnee laufen mussten oder die Schwebebahn noch zum Teil in Betrieb war, weiß ich nicht mehr.“ Dort habe die Familie etwa vier Wochen gelebt und in Etagenbetten geschlafen, „wir durften als Kinder auf der Bühne spielen – und an der Stelle, an der jetzt das Restaurant ist, haben wir immer Suppe bekommen“, erinnert sich Osteritter.
Doch wie ging es weiter? Bis die Waffen im Mai 1945 überwiegend schwiegen und die Wehrmacht kapitulierte, sollten noch einige Monate vergehen. „Mein Vater arbeitete bei der Färberei Schlieper und Laag am Hammerstein, wir konnten in die Büroräume umziehen“, erzählt sie. „Meine 18 Jahre ältere Schwester hatte einen Freund, der Schreiner war und für uns einfache Betten gezimmert hat, sodass wir dort auch schlafen konnten.“ Bis der Krieg vorbei war und nach und nach der Wiederaufbau auch mit Wohnhäusern begann. Das einzige Erinnerungsstück, das sie aus dieser Zeit noch besitze, sei eine Salonuhr. „Die ist mittlerweile 100 Jahre alt, ich ziehe sie jede Woche auf.“
„Wenn hier Probealarm ist, macht mir das immer noch Angst“
Seit 55 Jahren wohnt Ursula Osteritter nun in Elberfeld, wurde 1969 im dortigen Rathaus getraut, „aber wenn ich nach Vohwinkel komme, fühle ich mich trotz der schlimmen Erinnerungen zuhause“. Zumal sie beim „Konsum“ in Vohwinkel eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolvierte, die damals noch „Kaufmann“ hieß; später wechselte sie zur Spardabank.
Es sei ihr wichtig, davon zu erzählen, Geschichte zugänglich zu machen. „Es gibt ja kaum noch Überlebende aus dieser Zeit, der Krieg ist jetzt 80 Jahre her.“ Daher sei es von Bedeutung, diese Erinnerungen zu bewahren und weiterzutragen. Ganz verarbeiten kann auch Ursula Osteritter diese Erlebnisse nicht: „Manchmal gibt es in Wuppertal noch Probealarm, der vorher angekündigt wird. Wenn die Sirenen heulen, stelle ich immer das Radio ganz laut und halte mir die Ohren zu, denn das macht mir auch nach so vielen Jahrzehnten immer noch Angst.“
Dennoch trägt sie es mit Fassung: „Schicksal“ ist das Wort, das sie dafür gebraucht. „Auf manche Dinge hat man keinen Einfluss.“ Auf manche jedoch umso mehr. Wenn sie sich an die Szene aus dem Keller erinnert, zum Jahreswechsel 1944, als in Vohwinkel die Bomben fielen und sich die Menschen ganz festhielten, dann spürt sie dies noch. „Gerade dieser Zusammenhalt war damals größer.“ Heute sei die Verbundenheit zwischen Nachbarn und Menschen, die eigentlich viel eint, nicht mehr so gegeben, „wie man sich das wünschen würde“.