Anschluss für Jugendliche bei Liebeskummer und Schulstress
Nummer gegen kummer Junge Menschen, die das Kinder- und Jugendtelefon anwählen, treffen auf Ehrenamtliche mit viel Zeit zum Zuhören.
Wuppertal. Bordeauxrote Vorhänge umrahmen das Fenster, die Wände sind zartgelb - nur Telefon, Headset und ein Schreibblock lassen erahnen, dass in diesem Zimmer gearbeitet wird. Gemütlich wirkt der kleine Raum. "Das ist auch wichtig. Wenn wir hier sind, müssen wir mit uns und unserer Umgebung im Reinen sein", betont Helga Schroer. Seit zehn Jahren beantwortet sie das Telefon des Kinderschutzbundes (Träger des BürgerTal-Preises von Westdeutscher Zeitung und Jackstädt-Stiftung), spricht mit Kindern und Jugendlichen über deren Probleme und versucht, mit ihnen gemeinsam eine Lösung zu finden.
Helga Schroer ist 58 Jahre alt. Mit ihrer Familie ist sie schon viel herumgekommen, bevor es sie nach Wuppertal verschlug. Ihre zwei erwachsenen Töchter seien eine gute, aber nicht zwingend notwendige Vorbereitung auf ihre ehrenamtliche Beratungstätigkeit am Kinder- und Jugendtelefon gewesen. "Meine Kolleginnen ohne Kinder machen ihren Job genauso gut", sagt sie. Ihre zehnjährige Arbeit als Erzieherin, unter anderem mit schwer erziehbaren Kindern, habe zudem sehr hilfreiche Erfahrungen hervorgebracht.
Sobald Helga Schroer sich an den Schreibtisch setzt, um ihre "Schicht" zu starten, klingelt das Telefon. "Dann geht es Schlag auf Schlag", beschreibt Schroer. Die Beraterinnen, derzeit sind es 28am Kinder- und Jugendtelefon in Wuppertal, nehmen sich Zeit für ihre Anrufer. Von Liebeskummer über Schulstress bis hin zu Problemen mit den Eltern ist alles dabei. Aber auch sexueller Missbrauch, körperliche Gewalt und Vernachlässigung sind Themen am Telefon. Ängste der Jugendlichen, die Beraterinnen säßen in großen Räumen wie im Call-Center, könnten sich nicht auf deren Sorgen konzentrieren oder nicht ungestört antworten, werden am Anfang des Gesprächs genommen: "Wir erklären, in welcher Umgebung wir hier sitzen. Dass keiner etwas mitbekommt und wir viel Zeit haben." Die Gespräche seien teilweise so intim - da würde es Schroer gar nicht ertragen, wenn jemand neben ihr säße.
In einer Ausbildung zu Beginn ihrer Tätigkeit wurden Schroer und ihre Kolleginnen in Gesprächsführung geschult. "Wichtig dabei war, erst einmal die eigenen Schwächen zu erkennen, bevor man einen anderen Menschen überhaupt beraten kann." Im Gespräch mit den Jugendlichen brauchen die Berater dann aber Distanz zu sich selbst: Die Anrufer sollen ihre Lösung selbst finden. Von den Beratern werden sie nur bestärkt. "Es sollen keine Ratschläge übergestülpt werden. Es gibt kein: ’So würde ich das ja machen’", erklärt Schroer.
Scherzanrufe häufen sich. Immer mehr Jugendliche testen die Berater und nehmen sie "ganz schön hoch". Auch in Internetforen stellen sie Telefon-Mitschnitte, in denen sie die Geduld der Berater auf die Probe stellen. Einigen Mitarbeitern war das zu viel. Sie kümmern sich heute lieber um das Elterntelefon. "Kinder haben das Recht darauf, auch mal Unsinn machen zu dürfen", findet Helga Schroer aber. "Manchmal ist das ihre einzige Art, zu kommunizieren."
Die Anrufe verteilen sich auf bundesweit 94 Standorte. Einen Jugendlichen haben die Berater Schroer zufolge im Regelfall nur ein Mal an der Strippe. "Dass man nicht weiß, wie es mit der Geschichte weitergeht, kann schon sehr belastend sein." In einer regelmäßig stattfindenden Supervision sprechen die Berater sich solche Sorgen von der Seele. "Wir müssen mit uns im Reinen sein", wiederholt Schroer. Das sei das Wichtigste und die größte Herausforderung dieses Jobs.