Ausgezeichneter Autor: Michael Zeller denkt in Klängen
Der 64-Jährige erhält die bedeutendste Kultur-Auszeichnung der Stadt: den mit 12500 Euro dotierten Von der Heydt-Preis.
Herr Zeller, herzlichen Glückwunsch. Sie erhalten den Von der Heydt-Preis 2008. Wie waren die Reaktionen?
Michael Zeller: Ich war berührt und überrascht, dass doch mehr Menschen an meiner Arbeit Anteil nehmen, als ich angenommen hatte. Mehr Wuppertaler als ich dachte, auch viele Bekannte, lesen meine Bücher, verraten das aber nicht immer - wohl aus der Scheu heraus, ein Urteil fällen oder loben zu müssen. Jetzt haben viele geschrieben und angerufen. Der Preis ist ein schöner Anlass, jetzt etwas zu sagen.
Zeller: Ich habe keine kontroverse Diskussion wahrgenommen. Es gab von einer Seite den Versuch, im Trüben zu fischen. Aber dieser Versuch ist einhellig zurückgewiesen worden. Darüber kann jeder froh sein, der es gut meint mit dieser Stadt.
Zeller: Ja, es ist eine Befriedigung und eine Bestätigung für meine Arbeit in der Stadt. In den zehn Jahren, in denen ich hier bin, ist mein Werk weiter gewachsen.
Zeller: Nein, die Arbeit geht nahtlos weiter. Ich liege gerade in den letzten Zügen mit einem Oratoriumstext. Die Stadt Nürnberg vergibt seit einigen Jahren einen Menschenrechtspreis. Zum Festakt im kommenden Jahr wird ein Oratorium aufgeführt. Ich bin gebeten worden, das Libretto zu schreiben.
Zeller: Es ist in der Tat eine neue Herausforderung. Ich bin nur Teil des Ganzen. Der Text hat bei der Aufführung eine dienende Rolle, aber eine Leitfunktion. Erst wenn er fertig ist, kann der Komponist mit seiner Arbeit beginnen. Ich habe mich zunächst theoretisch mit Menschenrechten auseinandergesetzt. Das Rückgrat des Oratoriums sind Gesänge von vier Menschen aus Bosnien - über ihre Kriegserlebnisse. Die Sprache ist lyrisch. Aber nicht allzu feierlich. Die Gesänge entfernen sich nicht zu weit von der Alltagssprache.
Zeller: Das Libretto spiegelt mein eigenes Lebensgefühl. Das ist mir allerdings auch erst beim Schreiben bewusst geworden. Obwohl es eine Auftragsarbeit ist, ließe sich ein Refrain durchaus als Motto meines Lebens verstehen: "Bloß ein Fleck Erde / für zwei Füße / dein Platz / Ein Kommen Bleiben Gehen." Genau darum geht es im Leben: um das Kommen, Bleiben, Gehen.
Zeller: Ich habe kein Heimatbedürfnis, fühle mich hier aber sehr wohl. Ich bin überall zu Hause, wo ich ein Buch geschrieben habe. Das Private eines Schriftstellers ist nebensächlich. Wichtig ist das Werk. Ich traue meinen eigenen Meinungen wenig. Oft genug habe ich in meinem Leben die Meinung geändert, auch weil sich die Welt geändert hat. Entscheidend ist, was in meinen Büchern steht. Nur das gilt.
Zeller: Ich bin jemand, der keine Heimat hat. Als Säugling habe ich durch den Krieg alles verloren: meinen Vater, meine Heimat, mein Erbe. Als Kind habe ich darunter gelitten. Später habe ich gemerkt, dass darin auch ein Stück Freiheit und Entwicklungsmöglichkeit liegt. Auf diesen Vorteil möchte ich - bei allen Nachteilen - nicht mehr verzichten.
Keiner hat ein Heimatrecht, wir alle spielen hier nur Gastrollen. Leute, die unterwegs sind, werden nie Kriege führen, sie haben ja auch nichts zu verteidigen. Dazu gehören auch die Juden der Diaspora. In den 80er Jahren habe ich mich intensiv mit ihrem Schicksal auseinandergesetzt und mehrfach darüber geschrieben. Der Held von "Café Europa" ist ein deutsch-amerikanischer Jude mit polnischen Wurzeln.
Zeller: Für mich ist es der Versuch, mir selbst das Leben zu erklären und es in den Griff zu bekommen.
Zeller: Lesen ist Freude an der Sprache. Die Geschichte ist zweitrangig. Es muss klingen, man muss verführt werden - durch den Rhythmus, durch Bilder. Nur so wird man herausgerissen aus dem Üblichen, gerät ins Nachdenken. Literatur ist Musik, und wenn sie es nicht ist, ist es keine Literatur. Ich denke in Klängen.
Zeller: Als Kind war ich eine leidenschaftliche Leseratte. Nach der Pubertät entstanden die ersten Gedichtversuche. Ich wollte schon mit 20 Schriftsteller werden, wusste aber nicht wie. Deshalb habe ich angefangen, in Marburg Literatur zu studieren.
Zeller: Ich habe die Universität sehr geschätzt, aber immer weniger die Tätigkeit als Dozent. Nach meiner Habilitation habe ich dann das gemacht, was ich schon immer wollte. Das war eine Bauchentscheidung.
Zeller: Genau - auch wenn die ersten Jahre wirtschaftlich sehr hart waren. Aber Bauchentscheidungen sind immer richtig.
Zeller: Laufen ist ganz wichtig für mich - gerade dann, wenn ich nicht weiter weiß. Denken ist Bewegung. Ich lasse beim Dauerlauf den gerade vorher geschriebenen Text immer wieder durch den Kopf rinnen und korrigiere ihn dabei.
Zeller: Dass ich erstaunt bin, wie offen ich hier aufgenommen wurde. Dass ich mir eine Lesegemeinde aufgebaut habe. Dass es hier einen sehr erfreulichen Kollegenkreis gibt. Und dass der Preis dem Ganzen die Krone aufsetzt, sozusagen. Er macht mich der Stadt sehr gewogen.