Kunstsammlung des Deutschen Bundestages Das Lieblingsmotiv des Wuppertaler Künstlers Sachse hängt jetzt in Berlin

Wuppertal · Das Motiv ist sein niederländisches Fahrrad, seine „Gazelle“, die er auf die von ihm selbst entwickelte Art und Weise mit ihren vielen Schichten umgesetzt hat.

Oliver Sachse in seinem Atelier im ehemaligen Kutscherhaus an der B7.

Oliver Sachse in seinem Atelier im ehemaligen Kutscherhaus an der B7.

Foto: Andreas Fischer

So ganz frisch ist die Nachricht nicht mehr, sie erreichte ihn Anfang des Jahres. Sie sei eine Anerkennung, die mächtig stolz mache. Immer noch. Und etwas neugierig. Der Deutsche Bundestag hat ein Kunstwerk von Oliver Sachse für seine Sammlung erworben. Ein für den Wuppertaler Künstler Typisches zumal: Das Motiv ist sein niederländisches Fahrrad, seine „Gazelle“, die er auf die von ihm selbst entwickelte Art und Weise mit ihren vielen Schichten umgesetzt hat. In welchem Büro das 1,40 mal 1,40 Meter große Bild hängen wird oder bereits hängt, weiß Sachse leider nicht, würde er aber gerne. Nun malt er neue Gazellen, schließlich gibt es auch in Wuppertal freie Wände.

Über Mund-zu-Mund-Propaganda erreichte ihn der Tipp, der sich als ein guter erweisen sollte auf der Suche nach dem geeigneten Atelier. Schon als er das Gebäude betrat, wusste er, dass er bleiben würde. Nicht weil das ehemalige Kutscherhaus zwischen Wupper und Autowerkstatt an der B7 in Elberfeld eine Topadresse in Wuppertal ist. Der Besucher muss zuerst durch eine dunkle Toreinfahrt hindurch, über der auf einem Plakat ein martialisch blickender, muskelbepackter und tätowierter Kämpfer mit Glatzkopf und Boxergürtel abgebildet ist. Nein, Oliver Sachses an die hundert Quadratmeter großes Atelier befindet sich im ersten Stock des hohen Gebäudes mit Blick auf die ehemalige Wagenhalle, „einem Ort mit Geschichte, mit Atmosphäre und mit Leben“. Die lange, zweigeteilte Werkstatt mit gewollt wenig Tageslicht, Toilette und einem kleinen Balkon zur Straße war ursprünglich als Stall genutzt worden. Die Ringe an der weiß getünchten Wand, wo sich ehedem die Tröge befanden, erinnern noch daran, dass hier die Pferde standen, nachdem sie die Waggons der Pferdebahn in die Halle gezogen hatten. „Hier treffen alle Gewerke aufeinander: Fahrradschrauber, Autowerkstatt und Fightclub“, schwärmt Sachse. Und am Nachmittag des Atelierbesuchs viele Kinder auf ihre Trainer in der Kampfsportstätte. Seit mindestens sechs Jahren arbeitet der Künstler hier, so genau weiß er es nicht. Er genießt das quirlige normale Leben, das ihm doch das konzentrierte Arbeiten allein für sich erlaubt, das er braucht.

Kunstbeiratsmitglied Helge Lindh (SPD), der Wuppertal auch im Ausschuss für Kultur und Medien im Bundestag vertritt, wies Sachse darauf hin, dass er sich um Aufnahme in die Kunstsammlung des Bundestages bewerben könne. Das war 2023, und dieser wählte drei Gazellen-Großformate aus, darunter auch ein in Rost-Rot-Orange-Tönen gehaltenes, eine Auswahl aus dem Bauch, erzählt er nun. Mit dem Lastwagen transportierte er sie in die Hauptstadt, wo sich Lindh für sie stark machte und sie das vorgeschriebene Auswahlprozedere durchliefen, bis das 2021 entstandene Werk eines der 25 wurde, die im letzten Jahr angekauft wurden.

Seine Bilder müssen aus der Nähe und Ferne funktionieren, beansprucht Sachse. Sie entstehen in einem aufwendigen Verfahren, das mit der Bearbeitung des Untergrunds beginnt. Dafür wird eine Holzplatte mit Stoff bespannt, weil der mehr aushält und aushalten muss als eine Leinwand und weil er eine Haptik, das erwünschte Berühren und Darüberstreichen mit der Hand des Betrachters erlaubt. Mit weißer Wandfarbe bestreicht Sachse die auf einem Tisch liegende Fläche, bearbeitet, kratzt und ritzt sie und erhitzt sie schließlich. „Damit ich ein Krakelee bekomme“, ein feines Netz aus Sprüngen und Rissen, das seine Bilder prägt. Nun kommen verschiedene Farben, die geschleift, erneuert und geritzt werden. Ein ungewisses, Reaktionsschnelligkeit erforderndes Spiel im Spannungsfeld von Planung und Zufall, das „das Bild für sich“ entscheidet.

Um den Hauptdarsteller, das Fahrrad, richtig in Szene zu setzen, wird es so vor einem Scheinwerfer in Positur gebracht und fixiert, sodass der vom Künstler gewollte Schattenriss entsteht. Den zeichnet er anschließend zweimal auf der Bildfläche nach. Von allen möglichen Seiten hat er die Gazelle schon verewigt – geteilt, verdoppelt, zerlegt, die Berliner entschieden sich für die Seitenansicht. Am Ende wird das Bild durch mehrere, aufgebrachte und wieder abgeschliffene Schichten aus Bootslack versiegelt, was ihm seine anfassbare Reliefanmutung gibt und die weiße Wandfarbe eierschalen färbt.

2012 malte Oliver Sachse seine Gazelle erstmals, damals noch deutlich einfacher, das Verfahren entwickelte sich mit den Jahren durch Versuch und Irrtum. „Ich liebe das Strichzeichnen“, erzählt er, außerdem habe er damals den Wunsch gehabt, durch Reduktion auf das Wesentliche zu kommen. „Ich sah meine Gazelle und wusste, du musst das Rad malen.“ Das Rad hatte er schon als Kind haben wollen, damals in Wesel, wo er 1964 geboren wurde und aufwuchs. Das ersehnte „Rad der Reichen“ erwarb er dann 1987, ein gebrauchtes Exemplar in den Niederlanden. 1987 zog er auch nach Wuppertal, vom Niederrhein ins Bergische also. Heute ist die Gazelle nur noch Modell, vor zwei Jahren saß er zuletzt auf dem feinen Rad mit Retro-Charme, befuhr aber nur die Talachse. Ansonsten nutzt er seit Jahren ein E-Bike.

Auch als Modell war das Gefährt eine Herausforderung. Um es nicht platt abzumalen, entschied er sich für den Schattenriss, der wegen der dünnen Speichen neue Schwierigkeiten aufwarf. Also baute er eine Lichtquelle in Dunkelheit auf, die das Rad gezielt anleuchtet. Das Fahrzeug darf auf keinen Fall verrückt werden. „Das wäre ein Albtraum, der alles zunichtemachen würde.“ Und ist doch zugleich Spannungsgarant, der die Arbeit nie langweilig werden lässt. Unglaublich viele Stunden brauchen Sachses Gazellen-Bilder, die er in Serie erarbeitet, mehrere entstehen gleichzeitig.

Kultfahrrad wird aufwendig in Szene gesetzt

Dennoch musste er in diesem Jahr etwas anderes malen, ein Seestück, ein Sujet mit Geschichte. Ein Segelschiff in Frontalansicht auf dunkelblauem Grund, der den Übergang zwischen Wasser und Himmel verschwimmen lässt, sollte es werden. Der Respekt wuchs mit der Beschäftigung. Mit 2 mal 1,60 Metern wieder riesig, aber nur mit Öl auf Leinwand gespachtelte, imponierende Herausforderung. Nun kann er wieder zu seinen Fahrrädern zurückkehren.

Wer Sachse in Wuppertal sehen will, kann dies im November tun: Dann stellt er in der Concordia aus und nimmt auch wieder an Kunstkann’s teil.