Roland Riebling führt erneut Regie Das Wuppertaler Schauspiel führt Schillers "Kabale und Liebe" auf

Wuppertal · Er erfand die Psychoanalyse lange vor Freud.

Erarbeiten die „Kabale und Liebe“-Inszenierung (v.l.): Thomas Braus, Silke Rekort, Elisabeth Wahle, Manfred Marczewski-Achilles, Roland Riebeling.

Foto: Kevin Bertelt

Manchmal kann er sich nur mit Mühe auf dem Stuhl halten – dann will er am liebsten aufstehen, mitspielen, teilhaben. Weil ihn dieses tolle Ensemble flasht, das den riesigen Bühnenraum locker füllt „Wie die spielen können, ist einfach geil“, rutscht es aus Roland Riebeling heraus. Und dieser Schiller begeistert einfach, mit seinen tollen Figuren, die er geschaffen und denen er Sätze für die Ewigkeit in den Mund gelegt hat.

Roland Riebeling liebt seine Arbeit, die ihn in kurzer Zeit zum zweiten Mal ans Schauspiel Wuppertal führt. Wo er nun das legendäre Sturm-und-Drang-Drama „Kabale und Liebe“ auf die Bühne bringt – nach „Arsen und Spitzenhäubchen“, das in der letzten Spielzeit so erfolgreich war, dass es weiter aufgeführt wird. Hier wie dort führt der Bochumer Regie, nachdem er in Schillers Klassiker schon den Ferdinand, den Wurm und den Hofmarschall von Kalb gegeben hatte. Am 5. Oktober findet die Premiere auf der großen Opernbühne statt.

Auch Thomas Braus verkörperte den Wurm, außerdem den Kammerdiener in „Kabale und Liebe“, damals, als Leo Kuck die Wuppertaler Bühnen leitete. Seit einigen Jahren schon wollte der heutige Intendant das Stück mit seinen tollen Rollen, „sämtlich Hauptrollen“, inszenieren lassen. In Riebeling fand er den passenden Partner. Vielleicht weil auch er Schauspieler (unter anderem im Kölner Fernseh-Tatort) ist. Er findet die radikal zeitlosen Figuren eines Stücks um Generationenkonflikte und Ständeschranken einfach spannend. Damals wie heute gehe es im Kern schlicht „um die Fähigkeit zu lieben, auch bis zur Zerstörung, um die Sehnsucht, die Umstände zu ändern“. Ein Grundgefühl, das sich auch heute wieder finde. Hinzu komme die Sprachlosigkeit. Wenn die Menschen miteinander sprächen, gäbe es weniger Tote, denn wenn der Bogen einmal überspannt sei, „gibt es keinen Weg zurück“, wird Riebeling grundsätzlich.

Schiller hat seinen Figuren Sätze für die Ewigkeit in den Mund gelegt

Schiller habe die Psychoanalyse lange vor Freud erfunden, bohre in die Menschen hinein, findet Riebeling, sodass man immer wieder Neues entdecke, neue Fragen finde: Liebt Luise Ferdinand wirklich? Ist Luise nur Spielball, ist Wurm nur böse oder der einzige, der Luise versteht? Ist der Präsident von Walter ein Verbrecher oder um seine Kinder besorgt? Ist Miller nur gut oder vielleicht auch verbohrt und bestechlich? Es gebe nicht den Bösen, jeder habe seinen Punkt, jeder habe viele Seiten. „Es geht auch um die Ursachen, wie eine Figur so wird, wie sie ist, welche gesellschaftlichen Umstände dazu führen“, erklärt Braus. Damit man schauen könne, welche Prozesse in einer Gesellschaft geändert werden müssen, damit das nicht passiere: „Theater muss die Potenziale in den Menschen aufzeigen, keine Antworten geben.“ Dabei muss „Theater bis an die Grenze des Aushaltbaren um Verständnis werben“, ist Riebeling überzeugt. Mit mehr Verständnis würde vieles nicht passieren. Womit der Regisseur wieder bei der Verständigung landet, die trotz Sprachfülle nicht gelingt.

Apropos Fülle: Schiller schütte ein Füllhorn an Sprache aus, das die Zuschauer hinwegtragen könne, nicht umsonst seien viele Zitate in den Sprachschatz eingegangen. Selbst beim Lesen zunächst holperig wirkender Szenen werden diese verständlich, weil sie emotional zugänglich sind, so Braus. „Wenn wir es richtig machen, vergisst man die Sprache, weil man über sie verfügt, ihr den Raum gibt, den sie braucht“, ergänzt Riebeling. Kurz: „Was gesagt wird, ist gemeint.“ Was auch bedeutet, dass beim genauen Textstudium, trotz Streichungen jeder Buchstabe zählt, weil er „eine neue Welt auftun kann“. Viel Arbeit, die im Kopf vor anderthalb Jahren begann und seit Ende August in konkrete Proben mündete.

Bei „Arsen und Spitzenhäubchen“ war alles anders und doch wieder nicht. Hier wie dort gebe es Komödie, gebe es knappe Szenenwechsel. Während die US-amerikanische Komödie den Weg über Pointe, zu Rhythmus und Spiel gehe, könne man bei „Kabale und Liebe“ in die Figur reingehen und auf einen langen Bogen großzügig eine Figur entwickeln. Andererseits: Auch in Schillers Klassiker entdeckt der Regisseur eine schnelle Szenenfolge, einen treibenden Rhythmus, die Umbauten bremsen, sodass das Bühnenbild, das immerhin zwei Schlösser und eine bürgerliche Wohnung imaginieren soll, auf aufwendige Umbauten verzichtet.

Wieder geht es um Komödie und Krimi in einem

Manfred Marczewski-Achilles gestaltet es minimalistisch und bedient sich eines zeitgemäßen Mobiliars mit Cembalo und Chaiselongue. Dominant ist ein die hintere Wand füllendes Kriegsgemälde aus dem Dreißigjährigen Krieg, dessen Unübersichtlichkeit die Gemengelage des Stücks spiegelt, in dem mitunter unklar ist, wer gegen wen kämpft. Die drei Locations – bei Lady Milford, beim Präsidenten und bei Familie Miller – verteilen sich über die Bühne; die aktuelle Beleuchtung macht klar, wo gerade gespielt wird. Silke Rekort, die „Kabale und Liebe“ in Essen und Hannover ausgestattet hat, kleidet die Akteure in historische Kostüme des Rokoko, transportiert über die Farben Pracht und Untergang. Es gibt weiße Perücken und viel Glitzer. All das aus dem Fundus, denn Nachhaltigkeit wird stets gedacht.

Übrigens: Auch bei „Kabale und Liebe“ spielt bekanntlich Arsen eine Rolle. Beide Stücke sind eben Komödie und Krimi in einem.