Demenzwoche - „Im Krankenhaus besteht Nachholbedarf“
Im September findet die Bergische Demenzwoche statt. Die WZ sprach mit der Altersmedizinerin Prof. Welz-Barth über die Erkrankung.
Frau Prof. Welz-Barth, hat sich in der medizinischen Versorgung oder im Umgang mit Demenzkranken etwas getan?
Welz-Barth: Es ist in den letzten Jahren intensiv geforscht worden, gerade was die Ursachenfrage angeht. Aber es ist nicht so, dass es in den letzten fünf Jahren, gerade unter therapeutischen Aspekten, einen Durchbruch gegeben hat. Weiterhin werden Antidementiva eingesetzt, die den Verlauf der Demenz beeinflussen sollen, auch um den Grad der Selbstständigkeit länger zu erhalten. Weiterhin kommen Medikamente zum Einsatz, die die Begleitsymptome der Demenz behandeln. Aber das Thema Demenz hat in der Ausbildung von Pflegenden, aber auch von Ärzten, noch nicht den Stellenwert, den wir uns wünschen.
Was wird dagegen getan?
Welz-Barth: Es gibt zunehmend Fortbildungsmöglichkeiten für Einrichtungen im stationären und im ambulanten Bereich. Dabei werden zum Beispiel Strategien nahegebracht, wie man professionell mit herausforderndem Verhalten umgeht (ein Patient schlägt ständig mit einem Löffel auf den Tisch oder Ähnliches), aber auch Möglichkeiten aufgezeigt, wie man Demenzkranken im Krankenhaus-Alltag besser gerecht werden kann. Demenzkranke binden natürlich gerade in stationären Einrichtungen deutlich personelle Ressourcen, die in unserem aktuellen Vergütungssystem gar nicht adäquat abgebildet werden können. Das heißt brutal gesagt: Demenzkranke machen in einer stationären Einrichtung immer mehr Arbeit, die noch nicht adäquat kompensiert ist.
Was genau meinen Sie damit?
Welz-Barth: Ein 80-Jähriger mit einer Schenkelhalsfraktur und mittelgradiger Demenz liegt neben einem jungen Sportler mit verletztem Knie. Ortswechsel und Medikamente führen dazu, dass der Herr zunehmend verwirrt ist. Er ist unruhig, beginnt zu rufen und in der Schublade seines Nachbarn zu wühlen. Diese Situation bindet Pflegende in einer Betreuungsintensität, gerade nachts, und schafft natürlich auch Unzufriedenheit auf der anderen Seite. Schauen wir uns auch den ambulanten Bereich an, wird die besondere Aufsichts- und Betreuungsnotwendigkeit von Demenzkranken in der Pflegeeinstufung noch nicht adäquat berücksichtigt. Hier hoffen wir auch auf veränderte gesetzliche Rahmenbedingungen.
Was müssen Angehörige im Umgang mit Demenzkranken beachten?
Welz-Barth: Die wichtigste Voraussetzung ist erstmal, dass die Diagnose steht. Es ist ein Unterschied, ob es sich um eine reine Alzheimer Demenz handelt oder um eine Demenz, die aufgrund von Schlaganfällen entstanden ist oder um eine Kombination von beiden. Die Verläufe und oftmals auch die Behandlungsstrategien unterscheiden sich. Dafür sollte man zuerst zum Hausarzt gehen, der die Basis-Abklärung durchführen und dann zum Facharzt weiterschicken oder apparative Diagnostik initiieren kann. Eine klare Diagnose ist oft keine Selbstverständlichkeit. Viele Paare versuchen, die ersten Symptome der Krankheit, wie Vergesslichkeit oder Unruhezustände des anderen abzufangen und so gehen viele Jahre ins Land, bevor Behandlungsmöglichkeiten beginnen können. Je früher die Diagnose steht, desto eher können die Therapiemöglichkeiten genutzt werden.
Brauchen die Angehörigen mehr Hilfe als die Betroffenen selbst?
Welz-Barth: In der Anfangsphase stehen die Betroffenen mehr im Vordergrund. Die Diagnose zieht ihnen erst einmal den Boden unter den Füßen weg. Die einen verfallen in depressive Phasen, die anderen verdrängen. Wenn die Erkrankung fortschreitet und die Hirnleistungsstörungen stärker werden, ist dann auch der Beratungs- und der Entlastungsbedarf bei den Angehörigen größer. Sehr schwer fällt es den Angehörigen, adäquat mit der veränderten Emotionalität der Betroffenen umzugehen, die misstrauisch oder aggressiv werden oder keinen mehr an sich heranlassen oder auch dann im weiteren Verlauf Wahnelemente und Weglauftendenzen hinzukommen. In der letzten Phase geht es dann eher um Hilfestellung bei der Schwerstpflegebedürftigkeit, vom Hilfsmittel bis zur ambulanten Pflegesituation oder inwieweit auch stationäre Angebote genutzt werden können.
Sind die Versorgungsstrukturen im Bergischen Land ausreichend?
Welz-Barth: Ländliche Bereiche haben hier, denke ich, größere Probleme als unsere Region. Die Versorgung ist ganz gut, vor allem was die ambulante Situation und auch die Möglichkeiten der stationären Altenhilfe angeht. Was nach wie vor schwierig ist, ist der Umgang mit Demenz im Krankenhaus. Hier besteht eigentlich noch der größte Nachholbedarf. Mittlerweile wird über spezielle Demenzstationen nachgedacht. Das ist auch sinnvoll, weil der Anteil der dementiell Erkrankten in den vergangenen zehn Jahren deutlich zugenommen hat. Bei uns in der Akutgeriatrie beispielsweise sind viele Patienten, die neben den Erkrankungen, die ins Krankenhaus geführt haben, auch von einer Demenz betroffen.