Die Ukraine heute: Zwischen Stacheldraht, Angst und Erinnerungen
Was Wuppertaler Helfer in der ehemaligen Sowjetunion heute erwartet, zeigt ein persönlicher Blick in die Ukraine.
Wuppertal/Pripyat. Pripyat hat sich nicht verändert. Die Stadt in der Ukraine wirkt immer noch so wie in jenem Frühling vor 25 Jahren, der die Welt bewegt hat. Aber sie verfällt. Der Wald rückt näher, und auf den Straßen wächst Moos. Pripyat ist nicht gestorben — die Natur holt es sich einfach wieder zurück.
Die tragischen Ereignisse in Japan sind mit der Erinnerung an die Katastrophe von Tschernobyl verbunden — mit einem entscheidenden Unterschied: Hinter dem Eisernen Vorhang blieben die Menschen in Städten wie Pripyat lange im Ungewissen, und in der Sowjetunion wurden Informationen zum Reaktorunglück verheimlicht: Der Welt da draußen blieben lange Zeit nur offene Fragen — ebenso den Menschen, die am meisten zu leiden hatten.
Am ersten Tag nach dem Unfall ist es in Pripyat warm und sonnig. Den Frühlingstag verbringen die Menschen nichts ahnend draußen an der frischen Luft. Die Stadt wurde einst eigens für Atomwissenschaftler und ihre Familien gebaut — und liegt nur zwei Kilometer vom Atomkraftwerk Tschernobyl entfernt.
Während die ersten ausländischen Medien über mögliche Gefahren spekulieren, werden in Kiew und anderen Städten der Ukraine die Feiern und Demonstrationen zum 1. Mai organisiert. Erst Jahre später werden die Verantwortlichen einräumen, dass sie damit Panik in der Bevölkerung verhindern wollten.
Erst nach 36 Stunden beginnen hinter den Kulissen die ersten Evakuierungen — nach einer Einschätzung der radioaktiven Verseuchung. Weder private Dinge noch Haustiere dürfen aus Pripyat mitgenommen werden. Viele Menschen sind dennoch in ihrer Heimat geblieben.
Die, die überleben, hoffen lange Zeit auf eine Rückkehr nach Pripyat — bis zu jenem Tag, an dem sie zum ersten Mal dorthin zurückreisen dürfen. Die Menschen erwartet ein Spaziergang durch eine tote Stadt, mit Blick auf Häuser, deren eingeschlagene Fenster wie ein stummer Vorwurf wirken. Und spätestens jetzt verstehen es alle: Eine Rückkehr ist unmöglich. Was bleibt, ist kalte Einöde. In jüngster Zeit werden Reisen nach Tschernobyl organisiert. Aber Pripyat ist kein Freizeitpark. Was bleibt, ist die Hoffnung, dass die Menschen, die dennoch hierher kommen, diese Stadt als Mahnung verstehen.