Bundesweiter Atlas Forscher ermitteln Kriterien zur Barrierefreiheit von Sportstätten in Wuppertal

Wuppertal · Jonas Wibowo und sein Forschungsteam nehmen in Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband Wuppertaler Sportanlagen unter die Lupe.

Ko-Forscherin Linda Reckling und Jonas Wibowo nehmen Wuppertaler Sportanlagen unter die Lupe.

Foto: Katharina Müller

Ist eine Sportstätte barrierefrei? Ist sie für Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen geeignet? Diese Fragen mit Ja oder Nein zu beantworten, ist nach Meinung des Sportpädagogen Jonas Wibowo unzureichend. Menschen, die sich vor dem Besuch von Sporthallen, Schwimmbädern, Sportplätzen oder Fitnessstudios mit diesem Problem auseinandersetzen müssen, erwarten detaillierte Infomationen, um selbst wählen zu können.

Jonas Wibowo und sein Forschungsteam nehmen in Kooperation mit dem Deutschen Behindertensportverband daher seit dem Frühjahr Wuppertaler Sportanlagen unter die Lupe. An den Begehungen beteiligen sich sogenannte Ko-Forscher, das sind Menschen mit unterschiedlichen Behinderungen, die auf der Grundlage ihrer Erfahrungen zu verschiedenen Beurteilungen der Zugänge, Schwellen, Beschilderungen oder einer Beleuchtung kommen. Ziel des Projektes „ZertSportstätten“ ist es, einen Leitfaden für die Zertifizierung von Sportstätten zu entwickeln. Jonas Wibowo sieht dies als wichtige Voraussetzung für Teilhabe: „Die Menschen mit Beeinträchtigungen wollen selbst beurteilen können, ob eine Sporthalle oder ein Schwimmbad für sie geeignet ist. Wir stellen uns deshalb die Frage: Wie muss ein Informationssystem über Barrierefreiheit aussehen, um eine Einschätzung zur Teilhabe zu ermöglichen.“

Am Anfang der Untersuchungen stand für die Forscher Fleißarbeit. Aus den bereits vorhandenen Leitfäden und DIN-Normen zum Thema Barrierefreiheit wurden 1549 Kriterien ermittelt, darunter 800, die sich messen lassen. Beispiele: Ist die Raumtemperatur regulierbar? Wie breit sind die Flure? Weisen die Farben an den Wänden genügend Kontraste auf?

In einem parallel laufenden Projekt „NoBars“ wurden von den Forschenden acht sogenannte Raumeigenschaften festgelegt, über die seit dem Frühjahr in Wuppertal Messdaten gesammelt werden: Beschilderung, Erreichbarkeit, Kontraste, Klimatik, Licht und Schatten, (Un)-Ordnung, Bedienbarkeit und Akustik.

„Sportler mit eingeschränktem Sehvermögen haben ganz andere Anforderungen an eine Sportstätte als Sportler, die in ihrer Bewegung eingeschränkt sind. Der Begriff Barrierefreiheit wird oft so verstanden, dass eine Sporthalle für Rollstuhlfahrer gut oder gar nicht zugänglich ist“, so der Wissenschaftler. Doch es seien differenziertere Urteile erforderlich, um eine Sportstätte für verschiedene Gruppen bewerten zu können.

Möglicherweise entsteht
auch eine App aus den Daten

Ko-Forscherin Linda Reckling, Mitarbeiterin der Lebenshilfe, hat mit Kamera und Mikrofon ausgestattet die Schwimmoper, die Bezirkssportanlage Freudenberg und die Turnhalle Pfalzgrafenstraße besichtigt und in Interviews ihre positiven und negativen Eindrücke geschildert. Jeweils vier weitere Begehungen sind an den gleichen Orten mit anderen Ko-Forschern vorgesehen, die andere Beeinträchtigungen haben und daher andere Eindrücke sammeln. Insgesamt sind für 20 Sportstätten in Wuppertal jeweils Begehungen mit Personen mit Beeinträchtigungen des Sehens, Hörens, Bewegens oder kognitiven Einschränkungen geplant, sowie die Bewertung durch eine nichtbehinderte Person.

Alexandra Szlagowski, Leiterin des Sport- und Bäderamtes, vertritt die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Sportämter im Projektbeirat. „Barrierefreie Sportstätten und Teilhabe aller Menschen sind unser Ziel. Bei Neubauten können viele Voraussetzungen berücksichtigt werden. Weitaus schwieriger sind die Bestandsgebäude und Bestandsanlagen“, beschreibt sie die Herausforderungen für die Kommune. Entscheidend sei, was den gehandicapten Menschen wirklich helfe und wie diese die Sportanlagen erleben. „Gemeinsam mit dem Gebäudemanagement unterstützen wir daher gern das Projekt. Wichtig ist mir, dass kein Papiertiger entsteht, der es allen Beteiligten nur schwerer macht oder keinen Nutzen bringt. Vielmehr brauchen wir einen praxisbezogenen, überschaubaren Leitfaden“, so Alexandra Szlagowski. Jonas Wibowo ist überzeugt, dass dem Projekt trotz seiner Komplexität konkrete Verbesserungen folgen werden. Zukünftig stünden einer Kommune bei einer Hallensanierung wissenschaftlich überprüfte Kriterien zur Barrierefreiheit zur Verfügung. Trotz knapper Kassen könnten wichtige Anpassungen kostengünstig umgesetzt werden, so zum Beispiel durch die Verbesserungen der Raumeigenschaften wie der Beschilderung oder den Kontrasten von Hallenböden und Wänden. Die Ergebnisse seien nicht nur für Kommunen, sondern auch für private Betreiber von Fitnessstudios von Interesse.

Ein weiterer zentraler Aspekt sei die Schaffung einer Orientierungshilfe für die Nutzer. Dies könne ein gestuftes System sein, wie zum Beispiel der Nutri-Score zur Bewertung von Lebensmitteln auf Verpackungen. „Es werden in diesem System ganz sicher mehrere Kriterien berücksichtigt. Möglicherweise steht am Ende ein digitales Angebot wie eine App, über die jede Sportstätte nach den Kriterien für Barrierefreiheit für jeden speziellen Fall einer Beeinträchtigung bewertet werden kann“, so Wibowo.

Bis Ende des Jahres sollen die Begehungen der Wuppertaler Sportstätten abgeschlossen sein. Die Auswertung der gesammelten Daten wird im kommenden Jahr abgeschlossen. Die Ergebnisse werden in den bundesweiten Sportstättenatlas einfließen, auf den die Kommunen noch länger warten müssen, denn in Sachen Grundlagenforschung besteht im Sport Nachholbedarf. Und in einer alternden Bevölkerung sind die Forschungsergebnisse aus Wuppertal zu den Kriterien der Barrierfreiheit von einem zusätzlichen Wert.