Gefährliche Hetzjagd im Internet

Wie Jugendliche in Online-Foren zu Straftätern werden und die Polizei damit umgeht.

Wuppertal. Es begann ganz ohne Internet, salopp gesagt auf der Straße: Ein Junge verliebt sich in ein Mädchen. Verknallt wäre vielleicht treffender, denn die "Beziehung" ist pubertätsüblich relativ schnell vorbei. Das Mädchen hat einen neuen Freund. Der Ex ist darüber wenig begeistert. Auch das ist durchaus normal. Das Außergewöhnliche kommt danach, und es findet im Internet statt.

Der Ex-Freund des Mädchens bombardiert den "Neuen" mit E-Mails. Und er lässt andere daran teilhaben, über eine millionenfach besuchte Online-Plattform, die vorzugsweise von Schülern zum Chatten benutzt wird. Mit jeder E-Mail samt Antwort wird der Ton rauher. Wahlweise wird dem "Neuen" mit dem großen Bruder oder einem Cousin gedroht: "Fass’ sie nicht an", ist noch das Harmloseste. Nach drei Wochen und geschätzten 100Schmäh-Mails entdeckt die Mutter des "Neuen" eine SMS. Darin wird ihrem Sohn mit dem Tod gedroht.

Die Frau ist entsetzt und geht zur Polizei. Die hat keine großen Schwierigkeiten, die Beteiligten an der "Hetzkampagne im Internet" - O-Ton des Sachbearbeiters - zu identifizieren. Die jungen Leute werden zur sogenannten Gefährdeten-Ansprache einbestellt. Soll heißen: Die Polizei erklärt den jungen Leuten, dass es sich bei Bedrohungen per Internet keinesfalls um Kavaliersdelikte handelt, sondern um reale Straftaten.

Und die Beamten organisieren ein Treffen der Beteiligten. Auf dem Flur vor der Dienststelle im Polizeipräsidium standen sich kürzlich die beiden Jugendlichen und deren jeweiliger Anhang gegenüber. Man gab sich ganz real die Hand und versicherte sich: "War nicht so gemeint". Ein Polizeibeamter erinnert sich: "Da trafen sich welche, die sich vorher noch nie gesehen hatten."

Dieser Fall ist erledigt. Doch er ist wohl nur die Spitze des Eisbergs. Mindestens einmal pro Woche gehen bei der Wuppertaler Polizei ähnliche Anzeigen ein. Seit die Online-Portale den Jugendlichen (und umgekehrt) entdeckt haben, ist die Tendenz steigend. Über die nicht gemeldeten Taten lässt sich nur spekulieren. Fakt ist: Mobbing per Internet boomt unter den Jugendlichen. Computer gehören längst zum Alltag, lassen sich immer leichter bedienen. Manipulationen an Fotos sind ebenso problemlos möglich wie deren Verbreitung im Internet. Eine Menge Arbeit für die Polizei. Thomas Kittler vom Kommissariat Vorbeugung: "Die Jugendlichen denken gar nicht daran, dass sie sich strafbar machen könnten."

Das Motto lautet: Erlaubt ist, was technisch machbar ist. Oft haben die Kids keine Vorstellung davon, dass das Internet nicht vergisst. Wer einmal beispielsweise mit einem diffamierenden Foto im Netz aufgetaucht ist, wird Probleme haben, es wieder zu entfernen. "Es geht nicht darum, das Internet zu verteufeln", sagt Kittler. Es geht um die Auswüchse. Neben Mobbing gibt es ein breites Spektrum von Straftaten. Illegales Downloaden von Musik, sexuelle Anmache und Volksverhetzung: Die Polizei versucht gegenzusteuern.

Vor den Sommerferien saßen 60 Zuhörer im großen Saal des Präsidiums und lauschten dem Vortrag "Sicherheit im Netz". Die Gäste: Erwachsene, zu 90 Prozent Lehrer. Letztere sollen ihre Kollegen fürs Thema Internet sensibilisieren und die Jugend im "Web-2.0-Zeitalter" besser verstehen lernen. Kittler: "Wir sind mit der Resonanz zufrieden." Dennoch: Es gibt noch viel zu tun. Insgesamt hatte die Kreispolizeibehörde 120Schulen im bergischen Städtedreieck eingeladen. Etwa die Hälfte kamen.