Wuppertaler Auslese Kultbücher und ihre Kraft: Wie Literatur ganze Generationen prägt und verbindet

Wuppertal · Literaturwissenschaftler Christian Klein verlässt nach 20 Jahren die Bergische Uni – vorher verriet er der WZ noch, wie Geschichten das Erwachsenwerden prägen.

 In der neuen Podcast-Folge der „Wuppertaler Auslese“ spricht Christian Klein unter anderem über seine Forschung zu Kultbüchern.

In der neuen Podcast-Folge der „Wuppertaler Auslese“ spricht Christian Klein unter anderem über seine Forschung zu Kultbüchern.

Foto: Andreas Fischer

„Harry Potter“, „Per Anhalter durch die Galaxis“, „Der Steppenwolf“: Es sind Werke, die Kultstatus erreicht haben. Sie haben Leser auf der ganzen Welt in ihren Bann gezogen und ihre Spuren im kollektiven Literaturgedächtnis der Menschheit hinterlassen. Doch was macht ein Buch zum Kultbuch? Können Bücher die Gesellschaft verändern? Und welche Rolle spielt dabei das Erwachsenwerden? Christian Klein, Literaturwissenschaftler an der Bergischen Uni Wuppertal, hat dazu geforscht. Nach 20 Jahren im Tal wechselt er im September an die Uni Saarbrücken. Vor seinem Abschied hat er der WZ noch seine Erfahrungen mit auf den Weg gegeben – nicht zwischen den Zeilen, sondern ganz offen.

„Kultbücher sind ein generationsspezifisches Phänomen“, sagt der 50-Jährige, zu dessen Fachgebieten die Neuere deutsche Literaturwissenschaft gehört. „Einerseits spielen sie in der Adoleszenz eine besondere Rolle.“ Vor allem junge Menschen zwischen 13 und 20 seien dafür empfänglich. „Eine Zeit, in der die Gesellschaft langsam erwartet, dass man ein unverwechselbares Individuum wird.“ Werke, die später als Kultbücher gelten, reflektierten oft Mentalitätslagen dieser Zeit und seien für die Identitätsbildung relevant. Gleichzeitig würden diese Bücher den Lesern die Möglichkeit geben, „aus einem Gefühl der Vereinzelung Teil einer virtuellen Gemeinschaft zu werden“. Emotionen verbinden. Mit Helden, aber auch mit Verlusten. Mit der Suche nach Sinn. Und nach dem, was Menschsein ausmacht. Oder ausmachen könnte.

Worüber Christian Klein erzählt und lehrt – es müssen keine Botschaften sein, aber Erkenntnisse, die er auch selbst in Buchform bringt: So hat er im Jahr 2019 gemeinsam mit Andreas von Arnauld die Publikation „Weil Bücher unsere Welt verändern“ geschrieben. Die Autoren analysieren darin in Kurzporträts 99 Werke, die wesentlichen Einfluss auf die Kulturnation Deutschland hatten – von der Parzival-Sage bis zu Hape Kerkelings Reise auf dem Jakobsweg. Sogar der Otto-Katalog, ein Kochbuch aus der ehemaligen DDR und der Duden kommen darin vor. Ein Buch, das für Christian Klein mit besonderen Erinnerungen verbunden ist, ist hingegen „Der Fänger im Roggen“ des amerikanischen Schriftstellers J.D. Salinger aus dem Jahr 1951. Das Werk gilt als einer der bedeutendsten Vorläufer der amerikanischen Young Adult-Fiktion.

„Geprägt hat mich besonders das, was ich mit 13 oder 14 Jahren gelesen habe. In diesem Alter wird eine Art Gegenwelt aufgebaut. Die Welt der Jugendlichen gegen die Welt der Erwachsenen. Schließlich hat man den Eindruck, dass die Welt der Erwachsenen verlogen ist, während sich unter den Jugendlichen die Wahrhaftigkeit findet“, erzählt Klein. „Diese Erzählweise und diese Weltsicht, die damals ein bisschen negativ war, hat mich sehr beeindruckt und beeinflusst.“

Bei Lesern entstehe oft der Eindruck, dass ein Buch nicht nur zu ihnen spricht, sondern auch für sie. Dieses Gefühl, dass das Buch das „ausspricht“, was den Lesern auf der Seele liegt, könne darin münden, dass sie die Lektüre stets bei sich tragen oder sich Passagen herausschreiben und an die Wand pinnen. „Das bedeutet, dass die Fiktion in die Wirklichkeit verlängert wird“, so Klein. „Ein Roman wird zur Folie, vor der das eigene Leben und das eigene Wahrnehmen immer wieder interpretiert wird.“ Was früher Friedrich Nietzsche oder Simone de Beauvoir waren, was Franz Kafka an Symbolik transportierte, wird heute von J. K. Rowling oder George R. R. Martin mitgestaltet.

Die Sehnsucht nach der analogen Welt kehrt zurück – und tut gut

Eintauchen in eine andere Welt, Abenteuer erleben durch Worte auf Papier – fast schon eine Rebellion gegen die Möglichkeiten der Sozialen Medien, die auf dem Smartphone-Display um die Aufmerksamkeit der Nutzer buhlen. Vor einigen Jahren noch hätte Christian Klein befürchtet, dass sich das Medium Buch auf dem absteigenden Ast befindet. „Im Moment habe ich den Eindruck, dass eher das Gegenteil der Fall ist, dass es eine Sehnsucht gibt, sich mit etwas Nicht-Technischem in die Ecke zu setzen und sich dadurch entführen zu lassen“, sagt er. „Das ist ja auch das, was Literatur so faszinierend macht, dass man eigentlich gar nicht viel braucht.“ Technisch funktioniere ein Buch immer – sofern man es nicht in die Badewanne mitnehme oder im Meer versinken lasse. Dann lieber im Strandkorb.

„Das Irre bei Literatur ist, dass ich die Möglichkeit habe, an Erfahrungen teilzunehmen oder sie gefühlt sogar selbst durchzumachen. Erfahrungen, die ich sonst nie machen würde“, so der 50-Jährige. „Und Perspektiven auf die Welt nachzuvollziehen, die ich wahrscheinlich nie einnehmen würde, ohne dass es viel technischen Aufwand braucht. Im Moment scheint es so ein Bedürfnis danach zu geben, das wieder stärker in den Vordergrund zu rücken. Und das finde ich super.“

Nach 20 Jahren zwischen Biografien, Comics und Klassikern geht der für seine Lehre ausgezeichnete Dozent vom Grifflenberg nun an die Universität Saarbrücken. Dort wird er einen Lehrstuhl übernehmen, der sich neben der Neueren deutschen Literatur auch der Medienwissenschaft widmet. Um der Magie der Bücher weiter ein Forum zu geben. Seite für Seite.