Böses Mädchen sorgt für gute Laune
Eine Wuppertalerin in Düsseldorf: Yara Hassan wirbelt über die „Grease“-Bühne.
Wuppertal/Düsseldorf. Sie bohrt in der Nase, zeigt den Stinkefinger und ist eitel bis in die schwarzen Haarspitzen. Auch sonst macht Charlene alles, was einem bösen Mädchen gut zu Gesichte steht: Das spanische Energiebündel ist ein Biest auf langen Beinen. Kurz gesagt: Charlene ist eine Traumrolle für alle, die das passende Temperament haben. Yara Hassan hat es.
Neben dem nötigen Biss besitzt die „Grease“-Darstellerin allerdings auch das entsprechende Fingerspitzengefühl, um obszöne Bühnen-Gesten im Nachhinein augenzwinkernd geradezurücken: „Im wahren Leben würde ich das natürlich nicht machen.“
Weil das wahre Leben in den Momenten, in denen die gebürtige Wuppertalerin in Düsseldorf im Rampenlicht steht, allerdings von der Musical-Welt so weit entfernt ist wie die Kaiserhöhe und die Kö, fährt sie im Capitol Theater acht Mal pro Woche mit bestem Gewissen den Stinkefinger aus.
Mit einem kecken Lächeln zeigt Charlene den Männern, wo es langgeht, zieht einen Mitspieler nach dem anderen an sich und demonstriert mit ganzem Körpereinsatz, weshalb sie Cha Cha genannt wird. Na klar: Weil sie nicht nur den Cha Cha Cha, sondern auch das Spiel mit den Männern perfekt beherrscht. Am besten klappt das beim großen Tanzwettbewerb, den Charlene und Mädchenschwarm Danny am Ende (natürlich) für sich gewinnen. „Ich liebe diese Szene“, schwärmt Hassan. „Da kann ich im Vulgär-Sein richtig erblühen.“
Das passende Outfit hat sie: Die 28-Jährige trägt eine blaue Blüte im Haar, setzt auf ein kurzes Kleid mit langem Schlitz und hat auch sonst keinen Grund, um sich in Düsseldorf zu verstecken. Ein Schelm könnte da schnell auf den Gedanken kommen, dass es zwischen der Bühnen-Rolle und dem privaten Charakter viele Parallelen gibt. Das stimmt — allerdings nur bis zu einem gewissen Punkt. Der zeichnet sich in der Maske ab: Wenn sich Yara Hassan in Cha Cha verwandelt, wird die quirlige Tänzerin noch lebhafter, als sie ohnehin schon ist. Der Rest ist Show.
Dass das überdrehte Selbstbewusstsein, mit dem sie als Cha Cha über die Bühne wirbelt, nur Teil der Inszenierung ist und die Musical-Darstellerin trotz eines atemberaubend hohen Absatzes mit beiden Beinen fest auf dem Boden steht, wird nicht zuletzt beim Blick auf ihre Füße deutlich: Die Schuhe gehen bei den gewagten Tanzszenen regelmäßig auf.
Ob sie sich dann an den Rand verdrückt, heimlich bückt und die Sache wieder geraderückt? „Nein, das wäre Schultheater“, betont Hassan und schüttelt mit demselben Elan den Kopf, mit dem sie zuvor betont hat, dass sie am Ende der schwungvollen Show stets außer Puste, aber auch glücklich ist.
„Wenn der Verschluss aufgeht, muss man weitermachen“, erklärt sie. „Das ist zwar mitunter gefährlich, weil man stolpern kann, aber wir wollen ja die perfekte Illusion bieten.“ Ein Profi tanzt eben nicht aus der Reihe — auch dann nicht, wenn die Schuhe der gewagten Mischung aus Hebungen, Hüftschwung und Heiterkeit nicht gewachsen sind.
Hassan gefällt die rasante Verjüngungskur trotzdem. Kein Wunder: Sie spielt ein raffiniertes Highschool-Girl, das bei einem Wettbewerb zur besten Tänzerin gekürt wird. Das lässt durchaus auf ihre eigenen Fähigkeiten schließen: Hassan ist ausgebildete Tänzerin. Zuletzt war allerdings mehr ihr schauspielerisches als ihr tänzerisches Talent gefragt: Als große Liebe von Buddy Holly spielte sie sich in Essen in die Herzen der Musical-Zuschauer.
„Ich bewege mich immer in den 50er Jahren und bleibe wohl im Rock ’n’ Roll hängen“, sagt sie heute — mit einem Schmunzeln auf dem inzwischen geschminkten Gesicht. Dabei bekennt Hassan eigenständig Farbe: Weil sich bei „Grease“ insgesamt 24 Künstler die Bühne und die Garderobe teilen, legt jeder selbst Hand an, um im Namen des Teams Zeit zu sparen — einen Massenauflauf kurz vor dem Auftritt könnten die Damen in der Maske nämlich nicht meistern. Sie beschränken sich hauptsächlich auf haarige Einsätze und helfen bei Perücken oder Wimpern, während sich die Darsteller selbst schminken.
Hassan geht das Schminken flink von der Hand. Sie hat Routine — aber keine Langeweile. „Wir spielen die Show zwar schon seit November, proben aber nach wie vor täglich.“ Um- und Mehrfachbesetzungen halten die Show frisch: Es gibt allein drei Danny-Darsteller, auf die sich Hassan einstellen muss. „Jeder hat ein anderes Temperament, jeder tanzt anders.“ Acht Shows pro Woche, jeweils sieben Kostümwechsel und ein zentraler Auftritt, bei dem sich vor lauter Schwung ihr Rock hebt: Ist da noch kein Malheur passiert? „Doch“, verrät Hassan. „Ein Mal bin ich richtig gefallen.“ Doch sie nimmt’s mit Humor — passend zum Gute-Laune-Programm.
Als Musical-Darstellerin ist sie es ohnehin gewohnt, regelmäßig auf dem Boden der Tatsachen zu landen, weil bei den Ausflügen in die Welt der Illusion stets von vorneherein ein Ende in Sicht ist und neue Jobangebote nicht in den Schoß fallen: So ist auch die „Grease“-Zeit befristet (bis zum 12. Februar). Fest steht aber bereits eines: Im Sommer mischt die Wuppertalerin bei den Festspielen in Bad Hersfeld mit — sicherlich mit gewohnt guter Laune, aber garantiert ohne Stinkefinger.