Konzert: Nigel Kennedy zeigt den Beat von Bach

Der unkonventionelle Stargeiger begeisterte das Publikum.

Konzert: Nigel Kennedy zeigt den Beat von Bach
Foto: Stefan Fries

Wuppertal. Wenn dieser Stargeiger kommt, strahlt das Scheinwerferlicht in pink- und türkis: Bei Nigel Kennedy kann man sich darauf verlassen, dass er die Rituale des klassischen Konzerts ignoriert. Statt Frack und Fliege trägt der Brite am Freitagabend in der Stadthalle Lederblouson und neongelbe Turnschuhe.

Statt sich weihevoll gesammelt auf der Bühne zu postieren, stampft der 58-Jährige den Rhythmus zunächst wie ein Folkgeiger in der Kneipe, dirigiert sein folgsames Orchester — die russische Kammerphilharmonie St. Petersburger — mit tiefen Ausfallschritten und weit ausholenden Gesten.

Doch hinter dem lässigen Auftritt und der Haartolle verbirgt sich tiefe musikalische Ernsthaftigkeit. Die langsamen Mittelsätze der vier Bach-Konzerte spielt Kennedy mit einer Innigkeit, dass die übrige Welt versinkt und die gut 800 Konzertbesucher den Atem anhalten. Seine Virtuosität zeigt sich aber auch in den mitreißenden Duetten mit der Oboe-Spielerin Min Hye Kim und dem Geiger Michel Gershwin aus Weißrussland.

Da gehen die Zuhörer mit und trauen sich tatsächlich, nach jedem Satz begeistert zu applaudieren. Die Chemie zwischen dem Briten und den sonst oft spröden Wuppertalern stimmt. Beim Auftakt seiner Deutschland-Tour dauert es keine halbe Stunde bis zu den ersten Jubelstürmen. Zum unmittelbaren Konzerterlebnis trägt bei, dass Kennedy zwar mit E-Geigen und Verstärkern unterwegs ist, sie aber wegen der herausragenden Akustik in der Stadthalle nicht einsetzt.

Sicher, in den hurtig hingefetzten Passagen ist nicht jeder Ton strahlend sauber. Doch das dürfte mehr Kennedys bewusst gesetztes Markenzeichen sein als sein Unvermögen, denn auf dem Album sind exakt dieselben Passagen angeschrägt. Gerade das macht das Wesen dieser Musik lebendig und transparent: Wie modern der Beat des Barock-Komponisten sein kann!

Zeit für Kapriolen nimmt sich der Geiger gern. Er kündigt „ein paar Takte mehr fürs gleiche Geld“ an, streut entzückende Bach-Inventionen, eingängige Eigenkompositionen und schmissigen irischen Folk wie „Dannyboy“ ein. Er kickt einen Fußball ins Publikum: „Ich habe einen für neun Euro genommen, nicht den teuren aus Düsseldorf.“ Vivaldis „Vier Jahreszeiten“, deren Einspielung ihm vor 25 Jahren die Bekanntheit eines Popmusikers eingebrachte, fertigt er mit einem Zwei-Takter ab.

In seiner Zugabe nach mehr als zweieinhalb Stunden schlägt er den Bogen von Jimi Hendrix’ „Purple Haze“ zu einem hochkonzentrierten Bach-„Präludium“. Ein großer Abend mit einem verspielten Geiger — im schönsten Sinne des Wortes.