Artist in Residence Kreative, eigenständige Tänzerin zu Gast in der „Pina Bausch-City“
Die französische Tänzerin Alice Boivin ist im September Artist in Residence der Peter Kowald Gesellschaft im Ort. Heute stellt sie sich den Wuppertalern vor.
365 Tage gaben sich in dem Haus an der Luisenstraße Nummer 116 Künstler und andere Gäste die Klinke in die Hand. Belebten das Zuhause von Peter Kowald auf einzigartige Weise – ein Geschenk, das sich der Musiker 1995 zum 50. Geburtstag selbst machte. Wenn sich am heutigen Donnerstagabend die Tänzerin Alice Boivin ebendort mit einer Solo-Performance vorstellt, dann setzt sie auch die damals begonnene Tradition fort. Die 23 Jahre junge Französin ist die Artist in Residence der Peter Kowald Gesellschaft des Jahres 2019. Der Verein hat dafür sein Büro zur Wohnung umfunktioniert und verzichtet einen knappen Monat auf andere Veranstaltungen.
Boivin wurde 1996 in Paris geboren, wuchs in Lyon auf, kehrte zum Studium des zeitgenössischen Tanzes in die französische Hauptstadt zurück. Dort arbeitete sie sich auch in Körperbewusstseinstechniken und die Kinetographie ein, die die menschliche Bewegung analysiert, in eine eigene Sprache aus Symbolen übersetzt und zu Papier bringt. Erfunden wurde sie von dem ungarischen Choreographen Rudolf von Laban (1879 bis 1958), weshalb sie auch Labanotation genannt wird. Zwei Jahre lang studierte Alice Boivin diese Kunst, die sie auch den Wuppertalern näherbringen will.
Eine eigene Sprache für die menschliche Bewegung
Seit Dienstag ist die Französin in der Stadt, bleibt bis Ende September in der „Pina Bausch-City“. Die 2009 gestorbene Choreographin achtet sie als historische und interessante Persönlichkeit und Erfinderin des Tanztheaters. Ihre Stücke „Kontakthof“ und „Nelken“ sah sie in den Nuller Jahren bei Aufführungen in Lyon. Die starken Gefühle im Publikum hätten sie damals sehr beeindruckt, erinnert Boivin. Pina Bauschs Stadt ist für sie nicht gänzlich unbekanntes Terrain weil sie schon zu Workshops von Kenji Takagi hier war. Der ehemalige Tänzer des Pina-Bausch-Ensembles holte sie auch jetzt im Auftrag der Kowald Gesellschaft in den Ort, weil diese sich im Reigen der Musiker, Maler und anderen Künstler mal wieder einen Vertreter des Tanzes gewünscht hatte. „Ich habe Alice Boivin auf mehreren Workshops, auch in Frankreich, kennengelernt und als kreative, eigenständige Künstlerin erlebt“, erklärt der Tanzexperte, der ebenfalls im Ort wohnt und natürlich auch mit der Artist in Residence arbeiten wird. Was bei ähnlich gelagertem Tanzhintergrund sicherlich eine äußerst kreative Angelegenheit werden wird. Vorgaben, betont Klaus Bacher vom Vorstand der Kowald-Gesellschaft, gebe es nicht.
Kenji Takagi hat sie nach Wuppertal geholt
Sie will Unsichtbares sichtbar machen, die innere Bewegung nach außen tragen, beschreibt die Französin ihren Tanzanspruch. Bewegung sei das Ergebnis eines inneren Prozesses, hinterlasse Spuren im Raum, auf Papier. Aus Intuition, Gefühl und Ideen entstehen Bewegungen, die sie mit den Möglichkeiten der Kinetographie in eine Partitur überträgt, vergleichbar dem Schaffen des Komponisten in der Musik. Basis für Boivins Aufführungen – etwa mit ihrem Kollektiv Kraac in Frankreich.
Die Wuppertaler können am heutigen Donnerstagabend (20 Uhr) eine Kostprobe dieser Arbeitsweise miterleben – vom Komponieren bis zum Tanzen. Außerdem zeigt die Tänzerin ein Solo aus „Les Danses Lunatics“, eine Serie über den Schlaf und die kurze Phase vor dem Erwachen, zwischen Abstraktion und Konkretheit. Und sie bringt die Rekonstruktion einer Studie von Isadora Duncan mit. Die Französin beschäftigt sich intensiv mit der US-Amerikanerin Duncan, die von 1877 bis 1927 lebte und dem modernen Ausdruckstanz den Weg bereitete. Allein diese Studie wird übrigens mit Musik unterlegt, ansonsten genügt Boivin die „Musik des Raumes“.
Am 20. September folgt dann ein improvisierter Abend, eine Session, die lokale Musiker und Tänzer im Ort zusammenführt, für den 26. September ist die Abschlussperformance geplant. Wie die aussehen wird, weiß die Künstlerin selbst noch nicht, hängt sie doch davon ab, was sie in der Zwischenzeit – auch mit Kenji Takagi – erarbeitet.