Warme Kleidung wird empfohlen
Am Freitag feiert das Stück von Else Lasker-Schüler mit einer Tour durch die Stadt Premiere.
Wuppertal. Das Stück und die Stadt neu entdecken sollen die Zuschauer von Stephan Müllers Inszenierung von Else Lasker-Schülers „Die Wupper“. Premiere ist am Freitag. Nach dem ersten Akt im Theater am Engelsgarten verteilen sich die 100 Zuschauer pro Vorstellung auf zwei Reisebusse und werden für die weiteren Akte zu anderen Orten gefahren - Intendantin Susanne Abbrederis empfiehlt warme Kleidung und feste Schuhe.
Im Bus führen Experten in die Sozial- und Industriegeschichte der Stadt (entweder Reiner Rhefus vom Historischen Zentrum oder der frühere Stadtarchivar Uwe Eckardt) sowie Leben und Werk von Else Lasker-Schüler ein (entweder der Landtagsabgeordnete Andreas Bialas (SPD) oder Hajo Jahn, Vorsitzender der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft).
Herr Müller, was erwartet die Zuschauer an den unterschiedlichen Orten?
Stephan Müller: Wir fangen an einem prosaischen Ort an, nämlich dem sogenannten Theater hier. Der zweite Akt spielt in der Bandweberei Büsgen — da würde man nicht glauben, dass so etwas noch jenseits eines Museums existiert. Der Zoo im dritten Akt ist eine herrliche Zone. Da herrscht so eine dichte Realität, die man im Theater nicht hinbekommt - wenn man bei einbrechender Dunkelheit die Tiersymphonie hört, Flamingos kreischen, Wölfe heulen. Der Zoodirektor hatte wohl Angst, dass seine Flamingos den Schock ihres Leben bekommen. Das hat sich bei den Proben aber nicht bewahrheitet.
Können die Akte vier und fünf danach noch beeindrucken?
Müller: Nun, danach geht es direkt an die Wupper. Und im fünften, dem Sterbe-Akt, sind wir in der niederländisch-reformierten Gemeinde in der Kirche und auf dem Friedhof — wo bei Else Lasker-Schüler alles untergeht, verblüht, verscherbelt wird.
Sie sind auch für das Bühnenbild verantwortlich. Wie gestalten Sie den ersten Akt im Theater, damit er gegen die optischen Reize der anderen Orte nicht abfällt?
Müller: Da herrscht quasi Bilderverbot. Wir zeigen gar nichts, sondern lassen die Bilder aus der Sprache entstehen. Else Lasker-Schüler ist als Lyrikerin ein Wunderwesen, die durch zwei, drei Worte eine ganze Welt erstehen lässt. In einer Zeile von ihr ist alles drin, die ganze Dialektik von Glanz und Elend: „Ich sterbe am Leben und atme im Bild wieder auf.“ Das ist auch ihr Blick auf die Stadt und auf ihre Figuren.
Wie äußert sich das?
Müller: Schon Lasker-Schüler hat die Klassengegensätze und den Niedergang der Stadt gesehen, heute haben wir das Nebeneinander von historischen Gebäuden und ruinösen postindustriellen Bauten. Alle Figuren im Stück sind Mangelwesen, ihnen fehlt es an und im Leben. Sie wollen aus ihrem Leben durch Aufstieg oder Partnerwahl etwas machen, was nicht zu ihnen passt.
Warum wird „Die Wupper“ so selten gespielt?
Müller: Sie wird oft als Volksstück angesehen. Das ist dieses Schauspiel aber keineswegs. Es ist ein sehr sprödes Stück mit einer großen Melancholie — und viel besser konstruiert, als man ihm nachsagt. Tatsächlich sind alle Lebensthemen enthalten, es ist quasi ein goetheanisches Großprojekt.
Haben Sie die Befürchtung, dass die Aufmerksamkeit der Zuschauer während der Rundfahrt nachlässt?
Müller: Uns ist wichtig, das Werk in aller Tiefe und Vielfalt zum Klingen zu bringen und nicht nur ein paar nette Örtchen abzuklappern.
Wie strapaziös war die Vorbereitung?
Müller: Der Regisseur ist normalerweise derjenige, der alles kontrolliert. Insofern ist das hier schon eine Art buddhistischer Übung in Geduld. Logistisch ist diese „Reise ins Innere der Stadt“ extrem anspruchsvoll. Außerdem ist es mit dem Wetter schwierig, die externen Orte sind nicht beheizt, deshalb können wir kaum proben. 60 Prozent der Leute sind krank - so viele Krankmeldungen hatte ich noch nie. Ich kriege erst jetzt langsam meinen Humor wieder.