Kunst im Untergrund: Bühnen entdecken den Döppersberg
Regisseurin Anne Hirth wollte den Tunnel verschönern — und macht zugleich Werbung für ihr neues Stück.
Wuppertal. „Was wird das denn hier?“ Als die ersten Schaukästen ihre Farbe wechseln und rot werden, bleiben auch die ersten Passanten im Fußgängertunnel am Döppersberg stehen. „Das sind Wuppertaler“, sagt die Berliner Regisseurin Anne Hirth und lacht. „Die fragen direkt, was los ist.“ Und los war am heutigen Montagmorgen eine Menge.
„Untergrund-Kunst“ könnte man mit augenzwinkernder Erkenntnis nennen, was sich im dunklen, grauen Tunnel tut. Die nächste Uraufführung der Wuppertaler Bühnen wirft sprichwörtlich ihre Schatten voraus — mit der Kraft einer Signalfarbe.
Die weiße Schrift auf rötlichem Untergrund scheint ihre Wirkung nicht zu verfehlen: Fußgänger halten inne, suchen einen roten Faden, wollen die Puzzleteile zusammensetzen. Sie versuchen, die Schrift zu entziffern, einen Satz zu bilden, das Ganze einzuordnen. Wer dem Rätsel auf die Spur kommen möchte, muss allerdings erst einmal den Rückwärtsgang einlegen: Nur wer einige Schritte zurückgeht und die 19 Schaukästen aus der Ferne betrachtet, kommt der Lösung nahe. Und genau das gehört zum Konzept: „Gedanken über weite Entfernungen“ heißt das Stück, das am kommenden Samstag im Kleinen Schauspielhaus Uraufführung feiert. Die gestrige PR-Aktion passt da bestens ins Bild.
„Ein Wuppertaler Künstler hat mir den Tipp gegeben“, erklärt Hirth. Gemeint ist der Tipp, einen Auszug aus einem Werk Navid Kermanis („Das Buch der von Neil Young Getöteten“) am Döppersberg zu verewigen. Und so lesen sich die Zeilen, die sich am Ende 20 Meter an der Wand entlang ausbreiten, buchstäblich wie eine Mahnung, anderen näherzukommen: „So wenig verbindet uns, wenn wir ehrlich sind, mit anderen Menschen (. . .)“
In diesem Sinne sucht Hirth, die aus der freien Szene kommt, das Verbindende: Ihr neues Stück vereint Elemente aus Tanz, Musik und Schauspiel. Wer ihre erste Wuppertaler Arbeit („Rost“) kennt, mag es ahnen: Es gibt auch diesmal keine feste Geschichte, keine vorgeschriebene Handlung, keine klar definierten Figuren.
Das Zusehen dürfte also eine Herausforderung werden — genauso wie die Entschlüsselungsversuche im Tunnel. „Wenn man direkt vor den einzelnen Folien steht, verschwimmt der Text“, erklärt die Regisseurin. „Das Verschwomme, Unklare ist auch wichtig für das Stück. Man kann schließlich viel miteinander reden — weiß aber trotzdem nie, was im Kopf des anderen vorgeht.“
Apropos: Was in Hirth vor sich geht, verrät sie mit neugierig glänzenden Augen. „Ich pendele mit dem Zug zwischen Wuppertal und Berlin. Als ich anfangs durch den Tunnel ging, habe ich mich gefragt: Kann man die leeren Schaukästen nicht mieten?“ Nun hat sie sie gefüllt — was übrigens eine ziemlich schräge Angelegenheit war: Im abfallenden Tunnel die Folien so zu kleben, dass der Text nicht schief wirkt, klappte nur, weil am Montag Florian Finkenbusch (ICD Industrial Computer Design) fachmännisch Regie führte.