Offen gesagt Präsidiale Qualität

Wuppertal · Warum es Zeit wird, dass die Städte im Bergischen Land wieder mehr zusammenarbeiten.

Foto: Schwartz, Anna (as)

In Düsseldorf treffen sich am 27. November Vertreter der Landeshauptstadt mit ihren Kollegen aus den Kreisen Mettmann und Neuss. Sie treffen sich, um sich gegenseitig ein wenig auf die Schultern zu klopfen. Das ist verdient, denn die drei Partner gehören seit Jahren zu den Gewinnern im Wettbewerb der Regionen Deutschlands. Nach der Selbstbeweihräucherung geht es um gemeinsames Wachstum, um Wirtschaftspolitik, um Innovation, Lebens- und Wohnqualität, um Mobilität – also um die Zukunft der drei Partner einzeln und der Region miteinander.

Währenddessen fliegen im Bergischen Land Briefe und Beschimpfungen hin und her, fühlt sich dieser beleidigt und jener im Recht. Wuppertal, Solingen und Remscheid pflegen eine destruktive Streitkultur.

Zuletzt ist Oberbürgermeister Andreas Mucke die Hutschnur gerissen. Das gab er dem IHK-Präsidenten Thomas Meyer auch schriftlich, verbunden mit der Aufforderung, sich umgehend bei Wuppertal und dessen Entscheidungsträgern zu entschuldigen. Die seien nämlich weder beschämend noch verlogen und auch nichts, was den IHK-Präsidenten krank machen könnte. Bergisches Sandkastengezänk hier, während die Städte und Gemeinden in der Nachbarschaft im Wettbewerb um einkommensstärkere Bürger längst in den dritten Gang geschaltet haben.

Geht es noch? Gibt es wirklich nichts Wichtigeres für einen Oberbürgermeister? Im Grunde: Nein. Denn der Streit und dessen Tonart sind bezeichnend für die Qualität, mit der im Bergischen Land schon viel zu lange Politik gemacht wird. Gegen- statt miteinander, Missgunst statt Wohlwollen, Breakdance statt Gleichschritt. Das Ergebnis liegt auf der Hand, nicht nur in Wuppertal, auch in Solingen, und in Remscheid ist es noch schlimmer.

Aus diesem Grund ist es richtig, dass Mucke endlich ein Stoppschild hochhält. So geht es nicht weiter im Bergischen Städtedreieck. So wird die Region, die einst Wiege der Industrialisierung gewesen ist, auf ewig abgehängt. Verhindern können das nur die Wuppertaler, Solinger und Remscheider selbst. Das haben bis auf die Linken im Stadtrat auch alle maßgeblichen Fraktionen erkannt und stellen am Montag den Antrag, die lächerliche Klagerei gegen das Einkaufszentrum in Remscheid-Lennep umgehend zu beenden. Das Signal ist eindeutig: Lasst uns zusammenarbeiten, jeder für sich allein ist nicht stark genug für den Wettbewerb mit Köln, Düsseldorf oder auch nur Monheim am Rhein.

Die Frage ist nun, wer die Stimmen eint, wer die Kräfte um sich versammelt, um aus gutem Willen gute Konzepte zu formen. Die Zeit drängt. Denn alle Anzeichen sprechen dafür, dass die Region vor der nächsten großen wirtschaftlichen Herausforderung steht. Der digitale Wandel wird den Automobilzulieferern zusetzen. Bei aller Ingenieurskunst und allem ausgeprägtesten Unternehmergeist werden die Betriebe diesen Wandel ganz allein nicht bewältigen können. Sie brauchen dafür funktionierende Kommunen mit funktionierenden Stadträten und Verwaltungen an ihrer Seite.

Das alles herzustellen, ist nach all den Jahren von Zwist und Zwiespalt eine Herkulesaufgabe – eigentlich wie gemacht für eine Industrie- und Handelskammer, die sich als Parlament der Wirtschaft versteht. So aber ist das im Bergischen Land bedauerlicherweise nicht. Diese IHK hat sich vielmehr zum Thronsitz ihres amtierenden Präsidenten machen lassen. Anscheinend unangefochten ist jener Präsident, Thomas Meyer, Gesicht, Stimme und Taktgeber dieser altehrwürdigen Institution. Umso bitterer ist, dass ausgerechnet Meyer das Tischtuch zerschnitten hat. Es ist keine Art, dem Oberbürgermeister einer Stadt, deren Verwaltung und großen Teilen des Stadtrates zu attestieren, sie seien beschämend und verlogen. Das geht selbst dann nicht, wenn eine Kritik in der Sache zumindest teilweise berechtigt sein mag. Es gehört vielmehr zu den Aufgaben eines Präsidenten der Industrie- und Handelskammer, zwischen den Interessen von Kommunen und Unternehmen zu moderieren. Wirtschaftspolitik ist gerade im Bergischen Städtedreieck viel zu wichtig, als dass ganze Organisationen nur noch schmückendes Beiwerk ihrer Würdenträger sein dürften. Und präsidiale Qualität bemisst sich nicht an der Zahl der Blitzlichtgewitter oder der Abendessen mit Kanzlerinnen und Ministern.