Pina Bauschs "1980": Nicht nur der Rasen ist „herrlich“

Das Tanztheater Pina Bausch feiert die Wiederaufnahme des Stücks „1980“ — willkommen zu Hause.

Foto: Oliver Look

Wuppertal. Der Rasen ist noch immer saftig grün, endet erst an der dunklen Brandmauer. Das Reh steht noch immer unbeachtet und verloren mittendrin. Und auch der Satz, nein Ausruf, „Ist der Rasen schön grün. Herrlich!“ kommt (wieder). Nur, dass diesmal keine Mechthild Großmann mit ihrer schnoddrigen Erhabenheit den Flirt mit dem Publikum sucht. Die Lacher hat nun die 44-jährige Silja Bächli auf ihrer Seite, als sie in derb-lautem Ton ihre Freude über das Bühnenbild der Oper in den Zuschauerraum schleudert. Spätestens in diesem Moment fordert die komisch-ausgelassene Seite von „1980 — Ein Stück von Pina Bausch“ ihr Recht. Zur Freude aller auf und vor der Bühne. Nach vier Jahren feierte am Wochenende das Tanztheater Wuppertal endlich wieder eine „1980“-Inszenierung in Wuppertal. Die sehnsüchtig erwartete Rückkehr wurde vom ausverkauften Haus herzlich willkommen geheißen und bejubelt.

Intendantin Adolphe Binder hält Wort: Man wolle die Präsenz und Leidenschaft der 2009 verstorbenen Pina Bausch weitergeben, die Stücke in die Zukunft tragen und sich zugleich enger mit der Stadt verzahnen. In der Welt, in den USA und Kanada, war man noch im September mit „1980“ umjubelt worden, und nun eben zu Hause an der Wupper. Mittlerweile stehen mehrere Künstler-Generationen auf der Bühne, 26-Jährige wie 62-Jährige, fünf Novizen und Nazareth Panadero, einzige aus der Erstbesetzung. Und alle finden sich mehrfach zur vertrauten wie beliebten Polonaise durchs Publikum (die fünfte Sitzreihe war wie immer frei gehalten).

1980, das war für Pina Bausch ein schwieriges Jahr, ihr schwerkranker Lebens- und künstlerischer Partner Ralf Borzik starb. In Peter Pabst fand die Choreographin einen mindestens ebenso verrückt-genialen Partner, mit dem sie 24 Stücke gestalten sollte. Das erste war eben jenes „1980“, das Trauer und Ängste verarbeitete — und das mit allen Ausdrucksmitteln und Motiven arbeitete, die Pinas Einzigartigkeit ausmachen. Den Wiederholungen, den Ein- bis Zwei-Personen-Szenen, aus denen die Tänzer nicht allein herausfinden, den typischen Hand- und Fußbewegungsritualen, dem hastigen Szenenwechsel, dem hohen Wort- und geringen Tanzanteil. In Pinas Worten: „Mich interessiert nicht so sehr, wie sich Menschen bewegen, als was sie bewegt“. In den Worten, Gesten und Bildern entdeckt sich der Zuschauer.

Es geht um Einsamkeit, wenn Nayoung Kim ganz allein den anderen Tänzern gegenüber steht, Ewigkeiten der kalten, wortlosen Blicke und die unbeantwortete Frage „Ist da jemand?“ aushalten muss. Oder wenn sich Nazareth Panadero, ganz allein auf einem Stuhl sitzend, „happy birthday to me“ wünscht. Es geht um Kindheitserinnerungen bei der Frage nach der Angst vor Dunkelheit, bei den vielen Spielen (auf der Spielwiese).

Es geht um hintergründige Komik, wenn Silja Bächli den Zungenbrecher um die schleckende Schnecke ihre 17 Kollegen aus neun Nationen nachsprechen lässt, wenn Fernando Suels Mendoza Gleiches mit einer gepfiffenen Melodie versucht. Wenn jeder für sich in abstrusen Verrenkungen und Ver- oder Entkleidungen bemüht ist, sein Sonnenbad zu optimieren. „1980“ vereint Einsamkeit und Sehnsucht, Melancholie und Freude. Pina Bausch sagte: „Es geht nicht um Kunst, auch nicht um bloßes Können. Es geht um das Leben, und darum, für das Leben eine Sprache zu finden.“ Stimmt — damals wie heute.