Online-Gedenkbuch als Mahnmal Projekt erzählt die Lebensgeschichten Wuppertaler Juden, die dem Holocaust zum Opfer fielen
Wuppertal · Was haben Wuppertaler Juden in den Jahren 1939 bis 1945 gedacht, gehofft und geglaubt? Auf diese Frage gibt das Wuppertaler Gedenkbuch eine Vielzahl von Antworten.
Als Internetseite versammelt es nicht nur die Namen von fast 1500 Opfern des Holocaust aus Wuppertal. Alle Biografien will ein Team um Projektleiterin Christine Hartung (Begegnungsstätte Alte Synagoge) bis 2026 rekonstruieren und ins Netz stellen, rund 300 Lebensgeschichten kann man dort schon nachlesen.
Den 9. November, Tag der Reichsprogromnacht, nahm die Begegnungsstätte zum Anlass, um am Sonntag das neue Online-Gedenkbuch zu präsentieren und freizuschalten. Per Livestream bedankte sich Gastgeberin Ulrike Schrader bei den zugeschalteten Verwandten der Ermordeten. Bereitwillig hätten die Nachkommen Lebenszeugnisse wie Briefe und Fotos zur Verfügung gestellt und damit die Basis für das Digitalisierungsprojekt gelegt.
Ein Denkmal für Menschen,
die keinen Grabstein haben
Das Gedenkbuch solle vor allem ein Mahnmal sein, sagte Christine Hartung, ein Denkmal für „Menschen, die keinen Grabstein haben“. Die meisten der Wuppertaler Jüdinnen und Juden wurden während der Kriegsjahre nach Osteuropa deportiert und starben anonym in den von den Nazis geschaffenen Ghettos und Konzentrationslagern. Erinnert wird außerdem an Menschen, die in ihrer Heimatstadt zu Tode kamen. Etwa an den politisch aktiven Oswald Laufer, der 1933 von SA-Leuten erschossen wurde.
Es habe keine Rolle gespielt, ob sich diese Menschen als religiös oder säkular, Juden oder Christen definierten, erklärte Hartung. Allein ihrer Herkunft wegen wurden sie ausgegrenzt, verfolgt und abtransportiert. Eine Ahnung von der persönlichen Betroffenheit geben die Briefe der 1940er-Jahre, die die ehrenamtlichen Mitarbeiter der Begegnungsstätte vorlasen.
Da berichtet ein Ehepaar von Selbstmorden, die sich nach der Einführung des sogenannten „Judensterns“ häuften. Eindringlich fordert der Elberfelder Leo Löwenthal Bekannte auf, ihn bei der Ausreise ins Ausland zu begleiten. Als jüngster Briefeschreiber kam der 15-jährige Kurt Auerbach zu Wort. Durch Schwerstarbeit im Ghetto Lodz krank geworden, bittet er um Versetzung in eine Küche oder Bäckerei. Der Gedanke des Jugendlichen war wohl, sich durch Fleiß unentbehrlich zu machen. Doch von den Ghettobewohnern überlebte am Ende niemand.
Wie man praktisch mit dem Online-Gedenkbuch umgeht, führte Hartung an Computer und Leinwand vor. Die Namen der Ermordeten sind alphabetisch geordnet, eine Suchleiste erleichtert die Recherche. Andere Menüpunkte informieren über den historischen Kontext, der bis zu den Anfängen jüdischer Gemeinden im Bergischen Land reicht. Bei einem so umfangreichen Projekt ließen sich Fehler und Lücken nicht ausschließen, erklärte die Projektleiterin. Wer etwas korrigieren oder anmerken wolle, solle gerne Kontakt aufnehmen.
Auch die zur Veranstaltung geladenen Redner stellten die Bedeutung der Erinnerungsarbeit heraus. Dietmar Bell sprach für den Vorstand des Trägervereins Begegnungsstätte. Durch das Gedenkbuch bekämen die Ermordeten wenigstens „ihren Namen und ihre Geschichte zurück“. Das digitale Gedächtnis sei nun einem internationalen Publikum zugänglich – nicht zuletzt den Nachkommen, „die heute in aller Welt verstreut leben“. Das Gedenken an die Toten verknüpfte Bell mit der Hoffnung, „dass keines Menschen Würde je wieder in Frage gestellt wird“.
In seinem Grußwort lobte Oberbürgermeister Uwe Schneidewind das Engagement der Begegnungsstätte, die seit 30 Jahren die Stadtgesellschaft bereichere. Diese Arbeit sei auch deshalb so bedeutend, weil das Massaker vom 7. Oktober 2023 und zuletzt die Angriffe auf israelische Fußballfans in Amsterdam die aktuellen Gefahren offenlegten. Durch neue Formate wie das Gedenkbuch lasse sich die Erinnerung hoffentlich auch für kommende Generationen lebendig halten, so Schneidewind.
Dass der Schutz jüdischen Lebens wichtiger denn je sei, betonte Bundestagsabgeordneter Helge Lindh. Darum lasse sich nur schwer vermitteln, warum der Bundestag sich erst nach einem Jahr auf eine Resolution gegen Antisemitismus einigen konnte. Lindh regte an, in der politischen Debatte künftig stärker jüdische Perspektiven mit einzubeziehen. Was beim Thema Rassismus gang und gäbe sei, müsse eigentlich auch mit Blick auf Antisemitismus selbstverständlich sein.