Wuppertaler Gesundheitskolumne „Schmerz muss nicht das gesamte Leben bestimmen“

Wuppertal · Selbstbefähigung ist ein entscheidender Schlüssel im Umgang mit chronischen Schmerzen.

Schmerzen belasten Betroffene nicht nur körperlich. Auch die Psyche leidet unter den Beschwerden.

Foto: dpa-tmn/Christin Klose

Chronische Schmerzen sind weit mehr als eine körperliche Herausforderung. Als Direktor des Schmerzklinikums NRW und Chefarzt der Schmerzklinik am Helios Universitätsklinikum Wuppertal (HUKW) erlebe ich täglich, wie stark diese Schmerzen die Psyche der Betroffenen belasten. Sie sind häufig begleitet von einer lähmenden Angst – vor der nächsten Schmerzattacke, vor dem Verlust der Kontrolle und vor der Unberechenbarkeit des eigenen Körpers. Untersuchungen belegen, dass Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen oft von starken Unsicherheiten und Ängsten begleitet werden.

Besonders Menschen, die an einer Trigeminusneuralgie leiden – einer Erkrankung des Gesichtsnervs – erleben nicht nur die akuten Schmerzen als belastend. Selbst die schmerzfreien Phasen werden von der ständigen Sorge überschattet, dass der Schmerz zurückkehren könnte. Diese Angst wird oft zum dominierenden Gefühl im Alltag und führt zu einer gedrückten Stimmung und eingeschränkter Lebensfreude.

Der Umgang mit chronischen Schmerzen wird zusätzlich durch die Unsicherheit erschwert, die das unkontrollierte Auftreten dieser Beschwerden mit sich bringt. In unserer ohnehin komplexen Welt empfinden viele Menschen Unsicherheiten als besonders schwer erträglich. Diffuse Ängste, die scheinbar keinen greifbaren Ursprung haben, können das Gefühl verstärken, den Schmerz nicht bewältigen zu können. Interessanterweise zeigt sich, dass solche Ängste die körperliche Schmerzwahrnehmung verstärken können.

Dr. Thomas Cegla, HELIOS Universitätsklinikum Wuppertal

Foto: Helios Universitätsklinikum/Michael Mutzberg

Menschen mit unspezifischen Rückenschmerzen berichten beispielsweise von intensiveren Beschwerden in Phasen, die von Unsicherheit und Veränderungen geprägt sind. Der Schmerz macht sozusagen „empfänglicher“ für psychische Belastungen. Doch trotz dieser Herausforderungen gibt es gute Nachrichten: Wir haben die Möglichkeit, aktiv Einfluss zu nehmen.

Selbstbefähigung, also das Bewusstsein, das eigene Leben aktiv gestalten zu können, ist ein entscheidender Schlüssel im Umgang mit chronischen Schmerzen. Durch gezielte Techniken wie Schmerzbewältigung, Achtsamkeitsübungen oder psychologische Unterstützung lässt sich nicht nur die Wahrnehmung von Schmerz beeinflussen, sondern auch die Kontrolle über das eigene Leben zurückgewinnen.

Der erste Schritt besteht darin, die Signale des Körpers ernst zu nehmen. Kopfschmerzen, Verspannungen oder Schlafprobleme sind oft ein Warnsignal, das auf Stress oder Überlastung hinweist. Statt diese Symptome zu ignorieren, sollten sie als Einladung verstanden werden, achtsamer mit sich selbst umzugehen. Veränderungen sind ein natürlicher Bestandteil des Lebens und jede schwierige Phase birgt auch die Möglichkeit, daran zu wachsen.

Regelmäßige körperliche Aktivität, entspannende Rituale und kleine Auszeiten im Alltag können helfen, die Resilienz zu stärken. Ein Spaziergang in der Natur, ein gutes Buch oder das Hören von Musik bieten nicht nur Erholung, sondern können auch helfen, den Schmerz in den Hintergrund zu drängen. Gerade hier in Wuppertal, mit seinen zahlreichen Grünflächen, gibt es viele Möglichkeiten, Kraft zu tanken.

Chronische Schmerzen sind häufig die Folge eines überreizten Nervensystems, das durch anhaltende Belastungen aus dem Gleichgewicht geraten ist. Dies führt dazu, dass der Körper auf Reize empfindlicher reagiert, was den Schmerz verstärken kann. Ziel ist es, diesen Kreislauf zu durchbrechen und die Wahrnehmung wieder zu stabilisieren. Auch wenn dies ein langwieriger Prozess sein kann, ist er lohnenswert.

Am Ende bleibt die wichtige Erkenntnis: Schmerz muss nicht das gesamte Leben bestimmen. Es liegt in unserer Hand, die Kontrolle über unser Leben zurückzuerlangen. Gelingt es, den Alltag so zu gestalten, dass der Schmerz weniger Raum einnimmt, ist dies ein wesentlicher Schritt in die richtige Richtung. Durch diesen Weg lassen sich Lebensfreude, Vitalität und Lebensqualität wiedergewinnen und stärken.

Dr. Thomas Cegla ist Direktor des Schmerzklinikums NRW und Chefarzt der Helios Schmerzklinik Wuppertal.