WZ-Serie „60 Minuten vor Ort“ Wuppertal-Unterbarmen: Ein Bahnhof der Klischees
Unterbarmen · Der VRR bezeichnet den Zustand des Unterbarmer Durchgangsbahnhofs als „ordentlich“ – stellt sich nur die Frage: warum?
Wer den Bahnhof Unterbarmen sucht, hat es nicht leicht. Hinweisschilder oder Logos der Deutschen Bahn gibt es kaum. Wer von der Bundesstraße 7 kommt, entdeckt mit etwas Glück lediglich an einem Straßenschild ein in Folie eingeschweißtes S-Bahn-Symbol. Der Haupteingang des Bahnhofs an der Elberfelder Straße ist als solcher nicht erkennbar. Distelbüsche wuchern den Weg entlang, der Vorplatz ist mit Zäunen und Stacheldraht abgesperrt, ein Schild weist auf eine Feuerwehrausfahrt hin. Der Boden ist uneben. Die Türen und Fenster des Gebäudes selbst sind verrammelt, teilweise mit Brettern zugenagelt. Daneben fällt ein verrostetes Tor mit einem Hunde-Graffiti auf. Nur ein aus hellen Steinen zusammengesetzter Pfeil im Zaun weist auf den Zugang zu den Gleisen hin.
Der Durchgangsbahnhof Unterbarmen wurde 1880 eröffnet und erfüllt mittlerweile nur noch Klischees: Im Baum hängt eine Pizzaschachtel, im Gestrüpp liegen Fastfood-Tüten und Pappbecher. Der Stationsbericht des Verkehrsverbunds Rhein-Ruhr für das Jahr 2023 sieht hingegen nur geringfügigen Handlungsbedarf und bezeichnet den Zustand als „ordentlich“. Die Bewertung der Aufenthaltsqualität wird zwar als „verbesserungswürdig“ bezeichnet, Fahrgastinformationen, Barrierefreiheit und Gesamtbewertung liegen jedoch im sehr guten Bereich.
„Die Bewertung des VRR kann ich nicht nachvollziehen“, sagt Grünen-Politiker Rainer Widmann, der einst als Verkehrsplaner bei der Stadt tätig war und dort auch für die Straßenbeschilderung verantwortlich zeichnete. „Ich würde den Bahnhof eher als entwicklungsbedürftig bezeichnen.“ Der Zugang vom Park-and-Ride-Parkplatz ist nicht barrierefrei, nur eine Treppe führt hinunter in den Tunnel zu den Bahnsteigen. Es riecht nach Urin, die blassen Kacheln an der Wand sind mit Grünspan besetzt.
Die Unterführung ist auch tagsüber düster, denn die Lichtleisten an der Decke sind schmutzig. Die Informationstafel, die die Zugverbindungen und das Streckennetz anzeigt, besitzt offenbar gar keine Beleuchtung mehr. Wer sich traut, gelangt mit einem Aufzug, dessen Scheiben zerkratzt sind, zu den Gleisen 3 und 4. „Ich frage mich, ob ich da überhaupt reingehen möchte oder ob der Aufzug hängenbleibt“, sagt Widmann; doch zwei Fahrgäste eilen durch den Gang, nehmen flugs den Lift nach oben und verschwinden in der S 9 Richtung Hagen, die gerade ankommt. Wer sich hier zurechtfinden will, nutzt lieber das Smartphone oder stellt sich gleich auf den Bahnsteig. Das einzig Moderne in diesem Bahnhof ist der leuchtend grüne Fahrkartenautomat.
2016 wurde das Gebäude an einen privaten Investor verkauft. Nach Angaben auf dem Banner, das an der Fassade des Gebäudes prangt, dem Schild am Eingang sowie seitens Informationen des Unterbarmer Bürgervereins gehört es seitdem der Zaunbau Wuppertal GmbH unter Marco Klimaschewski, die dort in einem Flügel des einstigen Empfangsgebäudes ein Lager betreibt.
Doch der Bedeutung eines Empfangsgebäudes kommt es längst nicht mehr nach, dabei fährt hier auch die S7, der sogenannte „Müngstener“ vorbei, der Wuppertal mit Remscheid und Solingen verbindet. „Ein vernünftiges Schild wäre das Mindeste“, sagt Widmann. „Wegweisung ist immer auch Werbung für einen bestimmten Ort.“
Den Studenten der Fakultät für Architektur und Bauingenieurwesen, die einige hundert Meter entfernt am Campus Haspel der Bergischen Universität ansässig sind, sind es gewohnt – doch auch ihnen fällt der Zustand negativ auf. Wie Timo Schmidt, der dort Verkehrswirtschaftsingenieurwesen studiert. „Der Stationsbericht des VRR konzentriert sich leider auf Funktionen“, sagt Schmidt, bei den Wuppertaler Grünen als Sprecher für Mobilitätspolitik tätig. „Man muss Bahnhöfe, die sich in einem schlechten Zustand befinden, aber auch im Hinblick auf Angsträume begutachten. Zum Beispiel bei den Gängen, die schlecht einsehbar sind und gerade, wenn es dunkel ist, als solche Angsträume wahrgenommen werden.“
Rainer Widmann glaubt, dass der Niedergang mit Hartmut Mehdorn anfing, dem früheren Chef der Deutschen Bahn, rekapituliert er. „Als Mehdorn Mitte der 90er-Jahre die Bahn an die Börse bringen wollte, hat sie sich von vielen Immobilien und Flächen getrennt, die sie nicht unbedingt benötigte. Damals galt Bahnfahren auch als wenig schick, weshalb man bei vielen Bahnhöfen kein Augenmerk mehr auf die Qualität legte und sie vernachlässigt hat.“ Die Wahrnehmung habe sich aber seitens der Bahnkunden verändert, „zum Beispiel durch die Ticketmöglichkeiten und dadurch, dass viele angefangen haben, beim Umweltschutz umzudenken.“ Man habe die Wirtschaftlichkeit der Nützlichkeit vorgezogen, ergänzt Timo Schmidt. Und die Anbindung an das Umfeld ignoriert.
Gekachelte Wände,
Dunkelheit, Müll
So befand sich im Hauptgebäude an der Elberfelder Straße 74 – die Hausnummer ist noch neben der Eingangstür zu sehen – in den ehemaligen Räumen der Bahnhofswirtschaft das Café Zweistein, erinnert sich Widmann. „Das war eine Kulturkneipe mit stimmungsvollen kleinen Konzerten, also keine Disco, kein Punk, sondern eher etwas Hippiekultur.“ Eine alternative Szenekneipe, in der Widmann mit dem Verein „Jazzage Wuppertal“ zwischen 1986 und 1988 eine Reihe von Jazzkonzerten veranstaltete – unter anderem mit dem Hans-Peter Hiby Quartett, „aber auch mit dem legendären Peter Brötzmann, der letztes Jahr verstorben ist“. Das Café schloss 2004, die Räume stehen leer. „Es lag günstig zwischen Elberfeld und Barmen und hatte auch keine Probleme mit der Lautstärke, denn da sind ja die Züge, die hier vorbeifahren, lauter als solche Konzerte.“
Doch die Vorstellung der Vergangenheit ist an diesem Ort anscheinend genau das: Erinnerung. „Vielleicht mag es nostalgisch klingen, aber ich fand es immer schön, wenn man eine Bahnhofshalle betrat, in der sich ein Fahrkartenschalter befand, hinter dem ein Verkäufer saß. Daneben ein klassisches Café, in dem man bis zur Abfahrt des Zuges noch etwas trinken konnte.“ Stattdessen: Gekachelte Wände, Dunkelheit, Müll. Vielleicht wären die Studierenden ja die richtigen Initiatoren, um den Bahnhof wieder aufleben zu lassen? „Um solch einem Gebäude wieder einen Sinn zu geben, muss das jemand machen, der etwas davon versteht“, sagt Widmann. Nur wann? Dem Bundeseisenbahnvermögen ist auf Nachfrage der WZ nicht bekannt, ob Sanierungsmaßnahmen geplant sind.