Kolumne Die Schriften der Hebräischen Bibel
WUppertal · Ruth Tutzinger von der Jüdischen Kultusgemeinde Wuppertal berichtet über die Besonderheiten der einzelnen Schriften.
Das Buch der Bücher – so nannte Johannes Chrysostomos von Antiochia im 5. Jahrhundert die Bibel. Obwohl er gewiss kein Freund der Juden war, erkannte er doch die große Fülle dieses Buches und damit auch der Hebräischen Bibel, des Alten Testamentes, das die Juden oft TeNaCh nennen. Über die Bedeutung der ersten beiden Buchstaben „Te“ und „Na“ habe ich bereits in den vorherigen Artikeln berichtet. Heute sind wir bei dem Buchstaben „Ch“ bzw. „Kaf“ angelangt, der am Anfang eines Wortes wie ein „K“ und in der Mitte und am Ende wie ein „Ch“ ausgesprochen wird. Er steht für den dritten Teil der Hebräischen Bibel, die Schriften (die „Ketuwim“).
Die „Ketuwim“ sind eine Sammlung von weisheitlich-poetischen, historisch orientierten Schriften und enthalten zudem noch ein apokalyptisch gestimmtes Buch. Sie fanden um 100 v.d.Zt. ihren endgültigen Abschluss und beinhalten folgende Bücher:
Die Psalmen (hebr.: Tehillim) bilden eine Klammer zwischen dem zweiten und dritten Teil der Hebräischen Bibel. Die 150 Psalmen sind, angelehnt an die fünf Bücher Mose, auch in fünf Gruppen (Bücher) gegliedert. Es sind die ältesten formulierten Gebete Israels. Darunter finden sich die Stufengesänge, die mit instrumentaler Begleitung in den Vorhöfen des Tempels gesungen wurden. Sie sind als Wallfahrtslieder, Hymnen, Dank- und auch Klagelieder fester Bestandteil der Alltags- und Feiertagsliturgie sowie des täglichen Gebets.
Die Sprüche (hebr.: Mischle) sind eine Sammlung kürzerer weisheitlicher Texte aus der Zeit um 900 bis 200 v.d.Zt. Eine wichtige Rolle spielen hier die als Frau personifizierte Weisheit und Aufrichtigkeit. Die Sprüche 31,10 -31 liest der religiöse Mann für seine Frau immer freitags vor dem festlichen Abendessen.
Das Buch Hiob gehört auch zur Weisheitsliteratur. Es stellt die eindringliche Frage nach dem Leiden des gerechten Menschen und der Allmacht oder Ohnmacht Gottes. Hierauf folgen die „fünf kleinen Rollen“, die lange Zeit noch als Rollen geschrieben wurden, auch als es schon Bücher gab. Jede dieser Rollen ist einer Feiertagsliturgie zugeordnet.
Das Hohelied (hebr.: Schir Ha’schirim) ist das wohl erotischste Buch der Bibel und wurde nur in den Kanon aufgenommen, weil es als eine Allegorie auf die Beziehung zwischen Gott und dem Volk Israel gelesen wird. Es wird am Schabbat in der Pessach-Woche vorgetragen.
Das Buch Rut wird, da die Geschichte zur Zeit der Weizenernte spielt, zu Schavuot (Pfingsten), dem Fest der Erstlingsfrüchte, gelesen. Rut ist die Urgroßmutter des Königs David. Heute kann man sagen, dass ihre Geschichte die einer gelungenen Integration ist.
Die Klagelieder (hebr.: Echa) schildern höchst bewegend und verstörend die Ereignisse von 587/586 v.d.Zt., der Zerstörung Jerusalems und des ersten Tempels. Sie sind der Hauptteil der Liturgie des 9. Av (dieses Jahr am 30. Juli), einem strengen Fasten- und Trauertag, da an diesem Tag auch der Zerstörung des zweiten Tempels und vieler weiterer schlimmer Ereignisse gedacht wird.
Das Buch Prediger (hebr.: Kohelet), ein sehr poetisch-melancholischen Buch der Weisheitsliteratur, ist bekannt durch viele mittlerweile geflügelte Worte, z.B.: „Alles ist eitel und Haschen nach Wind“ (1.14) „Nichts Neues unter der Sonne“ (1.9) und „Alles hat seine Zeit“ (3,1). Da es uns an unsere Instabilität und Vergänglichkeit gemahnt, wird es im Herbst am Schabbat des Laubhüttenfestes gelesen.
Ester - Für diese Rolle, die Geschichte wird immer noch aus der handgeschriebenen Rolle gelesen, gibt es ein eigenes Fest, nämlich Purim. Hier feiern Juden auf der ganzen Welt die Rettung vor der völligen Vernichtung, die damals im persischen Großreich, in dem die meisten Juden lebten, der Minister Haman für einen bestimmten Tag mit Zustimmung des Königs geplant hatte. Nach diesen fünf Rollen folgt das Buch.
Daniel – Es ist teils auf Aramäisch, teils auf Hebräisch geschrieben und berichtet in Form einer Apokalypse von der Zerstörung Jerusalems 587 v.d.Zt. und von den Drangsalen des Exils.
Esra und Nehemia waren ursprünglich ein Buch. Sie waren Rückkehrer aus dem babylonischen Exil und herausragende Männer des Wiederaufbaus von Tempel und staatlicher Ordnung.
Die Chroniken I+II (hebr.: Divrej HaJamim) waren ursprünglich auch ein Buch, vermutlich aus der Zeit Esras. Große Teile sind Nacherzählungen von Ereignissen, die in anderen Büchern der Bibel schon so oder ähnlich berichtet wurden.
Jedes einzelne Buch der Ketuwim ist eine Größe für sich. Zusammen ergeben sie eine große Themenvielfalt und bergen einen tiefen Fundus an zeitübergreifenden Erfahrungen. Wenn wir bedenken, wie viel Inspiration von der Bibel in Sprachentwicklung, Philosophie, Astronomie, Musik, Literatur und in die bildenden Künsten eingegangen ist, dann können wir auch heute noch dankbar vom „Buch der Bücher“ sprechen.