Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus Wuppertals OB Schneidewind: „Holocaust war ein präzedenzloses Verbrechen“
Wuppertal · Das Schicksal des jüdischen Mädchens Renate Inow hat am Sonntag im Mittelpunkt der Gedenkstunde der Stadt Wuppertal für die Opfer des Nationalsozialismus gestanden.
In der gemeinsam mit der Begegnungsstätte Alte Synagoge organisierten Veranstaltung erinnerten Schülerinnen und Schüler der 6. und 7. Jahrgangsstufen der Hermann-von-Helmholtz-Realschule an das Mädchen, das 1929 in Elberfeld geboren wurde und vor den Nationalsozialisten zu ihrer Tante nach England fliehen musste. Ihre Eltern wurden 1942 ins Ghetto Lodz in Polen deportiert und dort ermordet.
Kinderbuch über das Schicksal von Renate Inow
Renate Inow, die sich in England in „Renie“ umbenannte, ist mittlerweile 95 Jahre alt und lebt in London. Zu ihrem Leben hat die Begegnungsstätte Alte Synagoge vor ein paar Monaten ein Kinderbuch mit dem Titel „Der Duft von Apfelkuchen“ veröffentlicht. Der Titel spielt auf den Kuchen an, den das Mädchen gern bei ihrer Großmutter in Bochum aß.
Einzelne Abschnitte des Buches trugen acht Mädchen und drei Jungen vor. Dazu hatten sie seit Weihnachten im Rahmen eines Projekts Bilder gemalt und kurze Stop-Motion-Filme daraus hergestellt, die zu ihren Vorträgen gezeigt wurden.
Jugendliche setzten sich kreativ mit der Geschichte auseinander
Sieben Schülerinnen und Schüler verlasen selbst geschriebene Gedichte, in denen sie Motive des Buches wie etwa Eltern, Freiheit oder Flucht verarbeiteten. Die Gedichte entstanden in einem Workshop, den die Autorin des Buches, Andrea Behnke, mit den Kindern in der Begegnungsstätte Alte Synagoge durchgeführt hat.
Die Hermann-von-Helmholtz-Realschule ist seit 2024 eine von sieben Bildungspartnerschulen der Begegnungsstätte Alte Synagoge. Sie hat die Beschäftigung mit dem Thema „Nationalsozialismus“ verstärkt in ihr Schulprogramm und ihr Leitbild aufgenommen. Seit Juni vergangenen Jahres trägt sie zudem den Titel „Schule gegen Rassismus. Schule mit Courage“.
Wie wichtig es ist, gerade in Zeiten wie diesen Courage zu zeigen, darauf wies Schulleiter Florian Jung hin. Schule müsse ein „Raum der Erinnerung und Verantwortung“ sein, der deutlich macht: „Geschichte ist keine Erklärung ferner Zeiten, sondern lebt in Erinnerungen.“ Das mache auch die Geschichte von Renate Inow klar.
Schulleiter warnt davor, wegzuschauen
Auch und gerade vor dem Hintergrund der Tatsache, dass 80 Prozent der rund 550 Schüler der Hermann-von-Helmholtz-Realschule einen Migrationshintergrund hätten, sei es wichtig, dass sich alle zu „unserer gemeinsamen Geschichte“ bekennen, betonte Jung. Die Erinnerung mahne dazu, auch in der Gegenwart „gegen Terror, Hass und Vorurteile“ aufzustehen. Ansonsten drohe ein Rückfall in eine Zeit, die man möglicherweise schon längst als erledigt angesehen hatte: „Wer heute wegschaut, der riskiert, dass sich die Geschichte von Renate Inow wiederholt!“
Auf vier großen Stelltafeln in der Aula der Realschule wurde an das Leben von Renate Inow erinnert. Als musikalische Brücke zu Vater Max Inow, der in seiner Freizeit gerne Cello spielte, trug die Cellistin Magdalena Wolf in der Gedenkstunde mehrere Stücke vor. Dazu gehörte auch Johannes Brahms‘ „Guten Abend, gute Nacht!“, ein Lied, das in der Familie Inow regelmäßig gesungen wurde und in den Erinnerungen von Renate Inow einen besonderen Stellenwert einnimmt.
Gedenken soll dazu aufrufen, Demokratie zu bewahren
Oberbürgermeister Uwe Schneidewind dankte den Schülerinnen und Schülern für ihre Beiträge, die sie mit „viel Einsatz und Herzblut“ vorbereitet hätten. Zugleich warnte er davor, den millionenfachen Mord an den europäischen Juden mit anderen Ereignissen wie etwa dem Krieg im Nahen Osten zu vergleichen: „Der Holocaust war ein präzedenzloses Verbrechen, ein Genozid ohne Muster.“ Zugleich gelte es, daran zu erinnern, dass der Antisemitismus und die Anfeindungen von Juden auch nach dem Ende des Krieges nicht aufgehört hätten. Vielmehr sei dieses Problem derzeit „aktueller denn je“.
Die Geschichte von Renate Inow zeige zweierlei: Sie sei einerseits „tröstlich“, weil der damals neunjährigen Renate die Flucht gelungen sei. Zugleich sei ihre Geschichte „ein Beispiel für das unwahrscheinliche Glück, das sie hatte“. Über eine Million anderer jüdischer Kinder sei in Europa durch den Holocaust getötet worden.
In diesem Sinne dürfe das Gedenken an den Holocaust auch nicht zu einem „Ritual“ werden, sondern müsse als Aufruf verstanden werden, erklärte Schneidewind. „Lassen Sie uns alle unsere Demokratie leben und insbesondere bewahren!“