Analyse: Hisbollah bleibt trotz Niederlage mächtig
Zwar haben die pro-westlichen Kräfte die Wahl im Libanon gewonnen. Doch die Radikalen haben ein großes Drohpotenzial.
Beirut/Istanbul. Die von Ägypten und Saudi-Arabien unterstützten pro-westlichen Kräfte haben bei der Parlamentswahl im Libanon formal gesiegt. Doch ist das Machtgeflecht in dem kleinen arabischen Land so komplex, dass der Handlungsspielraum von Fraktionschef Saad Hariri und seinen Mitstreitern sehr begrenzt bleiben wird.
Die Opposition unter Führung der vom Iran aufgerüsteten schiitischen Hisbollah-Bewegung hat schon vor Bekanntgabe des Ergebnisses eine Beteiligung an einer neuen Regierung der nationalen Einheit für sich beansprucht. Und seitdem schiitische Milizionäre im Frühjahr 2008 die sunnitischen Anhänger von Hariri in Beirut mit Schüssen eingeschüchtert hatten, ist ohnehin klar: Das letzte Wort hat im Libanon nicht der Wähler, sondern derjenige, der am besten die Muskeln spielen lassen kann.
Doch am Montag überboten sich die Vertreter von Regierungsmehrheit und Opposition einander an Besonnenheit. Saad Hariri gab sich bei den Jubelfeiern seiner Fraktion betont nüchtern, um bei der Gegenseite keine Rachegefühle zu wecken. Der mit der Hisbollah verbündete Parlamentspräsident Nabih Berri von der Amal-Bewegung lobte diese Haltung und sprach von "nationalem Verantwortungsbewusstsein".
Allerdings hat die Geschichte des Libanon, der von 1975 bis 1990 einen blutigen Bürgerkrieg mit ständig wechselnden Fronten erlebt hatte, gezeigt, dass manchmal schon ein kleiner Funke genügt, um in Beirut einen Flächenbrand zu entfachen. Und letztlich entsteht der Eindruck, dass an diesem Wahlsonntag nicht die Hisbollah verloren hat, deren insgesamt nur elf Kandidaten alle gewählt wurden, sondern Michel Aoun, der christliche Ex-General, der sein politisches Schicksal mit der Hisbollah verbunden hatte.
Aoun ist vorerst gescheitert, was mittelfristig auch sein Ziel, Staatspräsident zu werden, in weite Ferne rücken lässt. Regierungschef kann nach dem konfessionellen Proporzsystem nur ein sunnitischer Muslim werden. Der Präsident muss wie Aoun ein maronitischer Christ sein.
Der amtierende Staatspräsident Michel Suleiman, der im Mai 2008 als Kompromisskandidat von beiden Blöcken gewählt worden war, denkt ohnehin nicht daran, seinen Posten zu räumen. Suleiman könnte zu einem wichtigen Stabilisierungsfaktor im libanesischen Polit-Chaos werden.