Analyse: Mussawi – ein Reformer, aber kein Regimegegner

Die Kraftprobe in Teheran ist zugleich ein Machtkampf unter den Mullahs. Der Ausgang ist offen.

Düsseldorf. Es gibt Phasen in der Geschichte, da wandeln sich die Urteile schneller, als die Druckerschwärze trocknet. Noch kurz vor der Wahl im Iran beschimpfte Bahran Nirumand, ein Sprecher der iranischen Opposition im Exil, den Ahmadinedschad-Herausforderer Hussein Mussawi als "Kleintaschenformat des Ayatollah Chomeini".

Heute gilt der gleiche Mussawi als "Hoffnungsträger", der das "Mullah-Regime zum Einsturz" bringen könne. Was also ist Hussein Mussawi, in dem ein großer Teil der städtischen Bevölkerung in Teheran den eigentlichen Wahlsieger vom 12. Juni sehen will?

Der jetzt 67-jährige Architekt ist einer der islamischen Revolutionäre der ersten Stunde. Der Mitkämpfer von Ayatollah Chomeini wurde unter dem Schah-Regime ins Gefängnis geworfen und machte nach der Revolution schnell Karriere. Zuerst als Außenminister, dann als Premierminister steuerte er den Iran nach dem Angriff Saddam Husseins erfolgreich durch den fast zehnjährigen verlustreichen Krieg.

1981 entkam Mussawi nur zufällig einem Bombenanschlag der von den USA und Irak unterstützten "Volksmuhadschedin". Sechs Mitarbeiter Mussawis starben bei dem Terroranschlag.

Mussawi selbst gehört eher der "linken", von sozialistischen Ideen geprägten islamischen Theokratie an. Seine Wahlversprechungen, die persönlichen Freiheiten zu erweitern und eine im Ton weniger radikale Außenpolitik zu betreiben, waren durchaus ernst gemeint: Gerade um die "Prinzipien der islamischen Revolution zu retten", müsste sich das System der Moderne anpassen. Mussawi und die hinter ihm stehenden Kräfte streben eine vorsichtige Reform an, sie sind aber nicht das, was wir so gern als "Regimegegner" bezeichnen.

Auch das Bild, hier stehe ein mit finsteren Mullahs verbündeter Ahmadinedschad gegen einen die Theokratie herausfordernden Mussawi, ist falsch. Ahmadinedschad ist eher der populistische Nationalist, während Mussawi sich auf die Geistlichkeit stützt.

Sein Finanzier und Strippenzieher ist der "Pistazien-Milliardär" Haschemi Rafsandschani, Chef des einflussreichen Expertenrats und neben Ayatollah Chamenei der wohl mächtigste, auf jeden Fall aber reichste Mann im Iran.

Rafsandschani, während Mussawis Regierungszeit Präsident, gilt als Todfeind Ahmadinedschads, der ihn 2005 in der Stichwahl besiegte. Rafsandschani war es auch, der dafür sorgte, dass die "Professoren von Qom", dem Zentrum des schiitischen Islam, sich jetzt in einem "Offenen Brief" hinter Mussawi stellten und Neuwahlen forderten.

Auch der einflussreiche Parlamentspräsident Laridschani, ebenfalls dem Lager Rafsandschani zuzurechnen, ging im Fernsehen auf Distanz zu Ahmadinedschad. Im Extremfall könnte das von Laridschani kontrollierte Parlament Ahmadinedschad sogar absetzen. Was auf den Straßen von Teheran aussieht wie der Aufstand der Mittelschicht gegen ein verknöchertes Regime, ist zugleich auch ein Machtkampf innerhalb der schiitischen Theokratie. Und auch dessen Ausgang ist derzeit noch vollkommen offen.