Bildung: Deutschland hat in der EU die ältesten Lehrer
Das hohe Durchschnittsalter wirkt sich negativ auf die Unterrichtsqualität aus.
Brüssel. "Unser Jüngster wird 50" - mit Slogans wie diesen machte die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) schon in den 90er Jahren auf das aufmerksam, was inzwischen in Deutschland kaum mehr zu übersehen ist: In deutschen Lehrerzimmern sitzen immer mehr ergraute Eminenzen.
Jetzt schlägt die EU-Kommission Alarm: Fast nirgendwo in Europa gibt es so viele alte Lehrer wie in der Bundesrepublik. Die "Schlüsselzahlen zum Bildungswesen in Europa", die am Donnerstag in Brüssel vorgestellt wurden, zeigen: Fast jeder zweite Lehrer in Deutschland ist über 50 und wird in den kommenden zehn bis 15 Jahren in den Ruhestand gehen.
Die deutschen Grundschullehrer sind innerhalb der Europäischen Union laut Statistik die ältesten. An weiterführenden Schulen läuft nur Italien der Bundesrepublik den Rang ab - dort sind sogar mehr als 60 Prozent der Lehrer über 50. "In einigen Bereichen ist mit einem Lehrermangel zu rechnen", warnt EU-Bildungskommissar Ján Figel.
Nach Berechnungen des Essener Bildungsforschers Klaus Klemm werden sich bis 2020 rund 460 000 deutsche Pädagogen in den Ruhestand verabschieden. Pro Jahr kommen aber nur etwa 26 000 junge Lehrer nach. Selbst bei zurückgehenden Schülerzahlen reicht das nach Klemms Berechnungen nicht aus, um den Standard von heute zu halten - geschweige denn, ihn zu verbessern.
Für die EU-Kommission ist die Quantität allerdings nicht das einzige Problem. Ein fortgeschrittenes Durchschnittsalter des Lehrers könne auch Auswirkungen auf die Qualität des Unterrichts haben, wird befürchtet. Viele neue Lehr- und Lernmethoden werden nicht angewandt sagt Stanislav Ranguelov, der an der Studie mitgearbeitet hat. "Gerade Lehrer im fortgeschrittenen Alter brauchen mehr Weiterbildungsmöglichkeiten." Kommissar Figel fügt hinzu: "Die Qualität der Lehrerausbildung ist grundlegend für die Bildung von Schülern. Lehrer sollten innovativer und kreativer sein."
Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbandes, Heinz-Peter Meidinger (Jahrgang 1954), sagt hingegen: "Man kann nicht sagen, der ältere Kollege ist der schlechtere. Auch die Erfahrung ist wichtig." Trotzdem sei die Altersstruktur der deutschen Lehrerschaft ein großes Problem.
"Wir müssen zusehen, dass der Beruf attraktiver wird für junge Leute", sagt Meidinger. Für Viele sei der Lehrerberuf nur eine Notlösung. Meidinger schätzt, dass sich fast jeder fünfte Bewerber nicht für den Schuldienst eignet, weil er "nicht kommunikativ" ist und "problematische Persönlichkeitsmerkmale für den Lehrerberuf" mitbringt.
EU-Kommissar Figel sieht das Problem vor allem in der gesellschaftlichen Akzeptanz der Berufsgruppe. "Der Lehrerberuf ist nicht gerade der attraktivste." Nach Angaben der Kommission ist das beispielsweise bei den Finnen anders. Knapp die Hälfte der finnischen Lehrer ist unter 40. "Es liegt an den einzelnen Mitgliedsstaaten, etwas zu tun", betont Figel.