Iran: Das Freitagsgebet als Wendepunkt?
Der Machtkampf in Teheran vor der Entscheidung: Am Freitag tritt Rafsandschani mit Mussawi auf.
Teheran. Seit 30 Jahren ist das wöchentliche Freitagsgebet in Teheran eine halbstaatliche Veranstaltung, eine Art religiös verbrämte öffentliche Pressekonferenz, auf der hohe islamische Würdenträger dem Volk die Lage erklären.
Meist interessiert sich die Welt kaum dafür. Am Freitag aber werden nicht nur die Iraner nach Teheran blicken. Denn mit Haschemi Rafsandschani hält diese "Predigt" ein Mann, den viele in einer Schlüsselrolle im Machtkampf innerhalb der herrschenden Eliten sehen.
Rafsandschani, einst Staatspräsident, jetzt Chef des Expertenrats, der den Revolutionsführer wählt und bei Versagen auch absetzen kann, war Finanzier und Strippenzieher der Wahlkampagne des nach den offiziellen Zahlen unterlegenen Präsidentschaftskandidaten Hussein Mussawi. Rafsandschani gilt als der reichste und neben Revolutionsführer Chamenei mächtigste Mann im Staat. Während der blutigen Auseinandersetzungen nach den umstrittenen Wahlen aber war der Milliardär abgetaucht.
Allen Freitagsgebeten, auch dem vom 19. Juni, auf dem Chamenei die Wahlen für korrekt erklärte, blieb er fern. Stattdessen fuhr er nach Qom, dem Zentrum der schiitischen Kleriker-Ausbildung - dort hatte Rafsandschani selbst studiert - und erreichte, dass sich der einflussreiche Lehrkörper gegen den umstrittenen Ahmadinedschad und hinter Mussawi stellte.
Zugleich führte er hinter den Kulissen Gespräche mit Chamenei, Ahmadinedschad und Mussawi, um eine Lösung im Rahmen der herrschenden Theokratie zu finden. Es ging ihm offenbar darum, die Lage zu beruhigen und zumindest unter denjenigen Mussawi-Anhängern, die Reformen lediglich innerhalb des Systems wollen, das Vertrauen in die Institutionen der Islamischen Republik wiederherzustellen. Ohne gravierende personelle Konsequenzen kann das aber wohl kaum gelingen.
Opfer einer solcher Beschwichtigungspolitik könnten eigentlich nur Ahmadinedschad selbst oder Revolutionsführer Chamenei sein. Für eine Absetzung Chameneis fehlt Rafsandschani derzeit wohl eine Mehrheit im Expertenrat. Aber unter der Geistlichkeit gibt es seit Jahren Bestrebungen, das Amt des Revolutionsführers durch einen "Rat der Gottesgelehrten" zu ersetzen. Auch Rafsandschani neigt dazu.
Unter den Mullahs ist Ahmadinedschad isoliert. Keiner der Groß-Ayatollahs hat dem Präsidenten bislang zur Wahl gratuliert. Einzig Chamenei steht hinter ihm.
Unsere liebgewordene Angewohnheit, vom Iran als "Mullah-Regime" zu sprechen, trifft die Realität seit Ahmadinedschads Amtsantritt nur noch mit Einschränkung. Denn Turban-Träger sucht man in der Umgebung Ahmadinedschads vergebens. Er umgibt sich mit seinen Altersgenossen, die mit ihm den fast zehnjährigen Krieg mit Saddams Irak in den Schützengräben überlebten, mit Militärs und Technikern. Seinen Nachwuchs holt er aus den ärmeren Schichten und nicht aus den Mullah-Seminaren.
Auch das erklärt, weshalb die Geistlichkeit so wenig Neigung zeigt, seine Wahl anzuerkennen. Groß-Ayatollah Montazeri erließ sogar eine "Fatwa", ein religiöses Rechtsgutachten also, in der die Legitimität Ahmadinedschads und Chameneis bestritten wird.
Wie weit Rafsandschani in seinem Freitagsgebet am Freitag gehen wird, ist die spannende Frage. Allein schon die Ankündigung Mussawis, er werde - gemeinsam mit dem ebenfalls unterlegenen Reform-Kandidaten Karubi - beim Freitagsgebet anwesend sein, macht diese Veranstaltung zur politischen Demonstration. Und man wird genau hinschauen, wer fehlen wird. Denn noch ist der Machtkampf in Teheran keineswegs entschieden.