Birma: Wettlauf mit der Zeit
Weil die Hilfe nicht schnell genug bei den Opfern ankommt, steigt die Seuchengefahr.
Rangun. Das Elend der mehr als eineinhalb Millionen Zyklon-Opfer in Birma hat auch mehr als eine Woche nach der Katastrophe kein Ende: Obwohl gestern mehrere Flüge mit dringend benötigten Hilfsgütern eintrafen, ist die Versorgung der Überlebenden völlig unzureichend. Hilfsorganisationen warnen vor großer Seuchengefahr. Dadurch könnten in den kommenden Wochen mehr Menschen sterben als insgesamt bei dem Tsunami 2004, so die Hilfsorganisation Oxfam.
Meteorologen haben für diese Woche schwere Regenfälle vorhergesagt. Oxfam hält es nur für eine Frage der Zeit, wann es zum Ausbruch von Seuchen kommt. "Mehr als 100 000 Menschen sind wahrscheinlich tot, und alles deutet auf eine weitere Katastrophe hin, die diese Zahl um ein 15-faches erhöhen könnte", meint die Direktorin für Ostasien, Sarah Ireland, in Bangkok.
"Wir erreichen zu wenig Leute, und es dauert zu lange", betont auch Terje Skavdal vom UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten (OCHA) frustriert in Bangkok. "Normalerweise läuft die Hilfe in einer Situation wie dieser nach drei, vier Tagen auf Hochtouren" - das sei aber leider nicht der Fall. Die Militär-Junta lässt weiter nur wenige Hilfsflüge zu und akzeptiert fast nur Lieferungen, die an das Militär übergeben werden. Nur einige UN- und andere Hilfsorganisationen, die einheimisches Personal im Land haben, könnten die Verteilung selbst organisieren.
Erstmals landete gestern auch eine US-Militärmaschine mit 20Tonnen Decken und Moskitonetzen in Rangun. Die US-Regierung hatte über die Landegenehmigung eine Woche lang verhandelt. Sie beugte sich der Aufforderung, die Hilfsgüter beim birmanischen Militär abzugeben.
Das Welternährungsprogramm hat derweil weniger als zehn Prozent der Leute und des Materials im Land, die angesichts der Zahl der Bedürftigen nötig sind. Sprecher Marcus Prior: "Wir müssten jeden Tag 375 Tonnen Nahrungsmittel reinbringen. In Wirklichkeit sind es weniger als 20 Tonnen pro Tag." Die Regierung gibt die Zahl der Toten inzwischen mit fast 32000 an. Fast
30 000 gelten als vermisst. Die Vereinten Nationen gehen dagegen von bis zu 100 000 Toten aus.
Im Irawadi-Delta, wo der Zyklon am schlimmsten gewütet hatte, haben viele Opfer seit Tagen nichts gegessen und sind traumatisiert. Durch die Flut ist das Wasser versalzen, Leichen sind im Dickicht gestrandet. Das Delta an der Südküste gleicht einem riesigen Ödland aus Schlamm. "Die Situation ist völlig außer Kontrolle", berichtet der Arzt Saw Simon Tha in einem Krankenhaus, das versucht, Tausende Verzweifelte zu versorgen. Hunderte liegen dort dicht gedrängt und oft nur noch halb bei Bewusstsein auf dem Boden, wie heimlich gemachte Filmaufnahmen der BBC zeigen.
Die Organisation Ärzte ohne Grenzen, die schon seit 1992 in Birma hilft, ist mit rund 100 Mitarbeitern im Delta unterwegs und hat es geschafft, etwa
50 000 Opfer zu erreichen. Die Region ist schwer zugänglich. Erst werden Planen, Reis und medizinische Ausrüstung mit Lastern transportiert, dann müssen die Helfer auf Boote und schließlich auf Motorräder umsteigen. "Das muss alles so schnell wie möglich gehen", sagt Vize-Programmkoordinatorin Juli Niebuhr.
Rund um die Uhr werden in Rangun Planen zurechtgeschnitten, die ins Krisengebiet gebracht werden. Was Niebuhr bisher von ihren Kollegen aus dem Delta gehört hat, klingt verheerend. "Viele Dörfer sind völlig verschwunden."