Katzenjammer bei den serbischen Europäern
Analyse: Die Partei von Präsident Boris Tadic feiert einen Sieg. Doch seine Gegner bilden die Koalition.
Belgrad. Das Feuerwerk der Europa-Parteien in Serbien nach der Parlamentswahl ist abgebrannt, und der Sekt auf den - voreiligen - Jubelfeiern ist ausgetrunken. Einen Tag nach dem Wahlsieg des Pro-Europa-Lagers folgte gestern der Katzenjammer:
Die Parteien des von Staatspräsident Boris Tadic geführten Europa-Blocks können keine Regierungsmehrheit bilden. Sie kommen nur auf 123 von 250 Plätzen im Parlament. Dagegen haben die Anti-Europäer trotz ihrer unerwarteten Stimmenverluste mit Verhandlungen für eine neue Regierung begonnen. Eine solche Koalition verfügt über wenigstens 127 Unterstützer im Parlament.
Viele Politiker in Europa und in den USA hatten dem "Wahlsieger" Tadic bereits gratuliert. Das Ergebnis sei eine "tragfähige Basis für die Regierungsbildung", freute sich etwa Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD). Doch Tadic dürfte nicht genug Koalitionspartner finden, die ihm die Bildung einer pro-europäischen Regierung ermöglichen.
Rein rechnerisch wären die Sozialisten (SPS) die nächstliegenden Bündnisgenossen, mit denen eine satte Parlamentsmehrheit sichergestellt werden könnte. Doch die Partei des einst diktatorisch regierenden jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic kann für die Tadic-DS kein ernsthafter Verbündeter sein. Denn schon seit Beginn der 90er Jahre war sie der Gegner schlechthin für die DS, die vom ermordeten Regierungschef Zoran Djindjic gegründet wurde.
Der nächste Koalitionspartner wäre für die DS einmal mehr die nationalkonservative Demokratische Partei Serbiens (DSS) von Ministerpräsident Vojislav Kostunica. Doch der hatte ja im Streit gerade erst die gemeinsame Regierung aus DS und DSS platzen lassen.
Am Wahlabend hatte er die Gegensätze beider Parteien erneut als "unüberbrückbar" bezeichnet. So besitzen nur die Anti-Europäer eine echte Chance, trotz ihrer Stimmenverluste an die Macht zu kommen. Sollte das nicht möglich sein, wird sogar über Neuwahlen im September spekuliert.
Dabei braucht das Land schnell eine handlungsfähige Regierung. Arbeitslosigkeit, niedrige Löhne, ein marodes Gesundheitssystem, jämmerliche Verhältnisse im Rentensystem oder die katastrophale Infrastruktur erlauben keinen Aufschub mehr. Schon am Dienstag wollen drei Viertel der Universitätsabsolventen ins Ausland abwandern.
Seit dem Volksaufstand gegen Milosevic vor fast acht Jahren ist kein Kilometer Autobahn gebaut worden. Ein Viertel der Einwohner der Zwei-Millionen-Stadt Belgrad ist immer noch nicht an die Kanalisation angeschlossen.
Teile Zentralserbiens sind entvölkert, weil die völlig vernachlässigten Dörfer ein Leben fast unmöglich machen. Außerhalb der Großstädte liegen die Fabriken am Boden, und die Menschen sind mutlos, weil die vielen Milliardenspritzen aus dem Ausland niemals dort angekommen sind.