Wie sicher ist die Rente wirklich?

Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen ringt mit dem Vorsitzenden der Senioren-Union, Otto Wulff, um Antworten.

Düsseldorf. Der Rentenexperte Bernd Raffelhüschen hat der Großen Koalition vorgeworfen, "eine vom Wahlkampf bestimmte Rentenpolitik zu machen". Das zeitweise Aussetzen des Riester-Faktors, das am Donnerstag vom Bundestag beschlossen wurde, sei "ein punktuelles Zurückdrehen notwendiger Reformen, die ja schon abgeschlossen waren", sagte er unserer Zeitung und fügte hinzu: "Die Rente ist sicher" - wenn sich die Politik nicht einmische und das System in Ruhe lasse.

Der Vorsitzende der Senioren-Union, Otto Wulff, forderte unterdessen in einem Streitgespräch mit Raffelhüschen ein "Nachdenken" über eine Riester-Pflicht. 75 Prozent der Arbeitnehmer hätten keinen Riester-Vertrag abgeschlossen. Wulff unterstützte damit eine Forderung des Präsidenten des Ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn.

Herr Wulff, Alt-Bundespräsident Roman Herzog hat davor gewarnt, dass die Alten die Jungen ausplündern könnten. Wie ist das bei Ihnen angekommen?
Wulff:
Das war überzogen und nicht nachvollziehbar. Ich bin Vater und Großvater. Ich freue mich immer, wenn es den Kindern und Enkeln gelingt, voranzukommen und sie im Leben Erfolg haben. Eine Generation, die den Kindern und Enkeln mit großer Liebe begegnet, wird diese ganz sicher nicht ausplündern.

Herr Raffelhüschen, hat Herzog mit seinem Hinweis auf die drohende Rentner-Demokratie im Kern nicht doch Recht?
Raffelhüschen:
Schlichtweg nein. Wir sollten die Debatte nicht zu einem Generationenkonflikt ausufern lassen. Allerdings sollte sich die Politik auch davor hüten, eine vom Wahlkampf bestimmte Rentenpolitik zu machen, wie es die Große Koalition derzeit tut.

Sie meinen das Aussetzen des Riester-Faktors, der zu einem leichten Anstieg der Renten führt.
Raffelhüschen:
Genau. Das ist ein punktuelles Zurückdrehen notwendiger Reformen, die ja schon abgeschlossen waren.

Wulff: Sie vergessen dabei die Nullrunden, die die Rentner zuvor hinnehmen mussten. Darauf musste die Politik reagieren - zumal in Zeiten eines Aufschwungs.

Raffelhüschen: Es stimmt, dass die Rentner Nullrunden hinnehmen mussten. Aber die Erwerbstätigen haben in dieser Zeit Minusrunden gemacht. Normalerweise wäre es angezeigt gewesen, diese Minusrunden auch bei den Rentnern ankommen zu lassen.

Genau das wird über den sogenannten Nachholfaktor erreicht (siehe Text unten). Müssen sich die Rentner also darauf einstellen, dass es in den kommenden 30 Jahren praktisch keine Rentenerhöhungen mehr gibt?
Raffelhüschen:
Ja, und das ist auch richtig so. Allerdings muss man sich klarmachen, wen das trifft. Die Rentner von heute haben wir mit den Reformen weitgehend in Ruhe gelassen. Betroffen sind die künftigen Generationen, also die heutigen Erwerbstätigen. Die müssen privat vorsorgen, etwa über den Erwerb von Immobilien oder Riester-Verträgen.

Wulff: Was wir tatsächlich brauchen sind mehr Arbeitsplätze und vor allem mehr Kinder, um das demografische Problem zu lösen. Das wird gerne vergessen.

Raffelhüschen:
Gar nicht. Das Problem ist eher: Selbst wenn es uns gelänge, deutlich mehr Kinder in die Welt zu setzen - für die kommenden 20Jahre ändert das nichts. Denn so lange dauert es mindestens, bis aus Kindern Erwerbstätige werden, die in die Rentenkasse einzahlen.

Wulff: Und bis dahin sollen die Rentner leer ausgehen? Diese Diskussion verstellt den Blick darauf, was für die heutige Rentnergeneration getan werden muss. Diese Generation hat ihre Pflicht für den Generationenvertrag erfüllt. Sie hat Kinder geboren und Beiträge gezahlt.

Raffelhüschen: Ich wiederhole: Diese Generation ist gar nicht betroffen von den Reformen. Es geht um die heute 30- bis 50-Jährigen. Sie haben das demografische Problem verursacht, weil sie zu wenig Kinder in die Welt gesetzt haben. Darum ist es auch gerecht, wenn sie der Nachhaltigkeitsfaktor und die Rente mit 67 trifft.

Ist die Rente sicher oder nicht?
Wulff:
Nein, nach Stand der Dinge nicht. Wir haben nicht genügend Nachwuchs, und wir haben nicht genügend Arbeit.

Norbert Blüm hat immer gesagt, die Rente sei sicher...
Raffelhüschen
: Ich sage: Die Rente ist sicher, und Norbert Blüm hatte trotzdem unrecht.

Wie bitte?
Raffelhüschen:
Zu der Zeit, als Bundesarbeitsminister Blüm auf Plakate drucken ließ, die Rente sei sicher, war dies schlichtweg eine Lüge. Die Rente war nicht sicher. Durch die Reformen der vergangenen Jahre haben wir eine nachhaltige Finanzierung der Rentenversicherung hinbekommen.

Wulff: Fragt sich nur, in welcher Höhe, verehrter Herr Kollege. Ich glaube nicht, dass man davon künftig in Würde leben kann. Wenn sich das Verhältnis von Alt und Jung demnächst verdoppelt, gerät das Umlagesystem in die Krise, und Altersarmut ist programmiert, und zwar mehr als wir denken.

Raffelhüschen: Die Höhe passt sich natürlich der Demografie an. Und die sagt: Mehr als eine Basisrente, die das Grundeinkommen sichert, ist nicht drin. Darauf müssen sich die Leute einstellen.

Wulff: Aber die Arbeitnehmer müssen natürlich auch in der Lage sein, privat vorzusorgen. 75 Prozent von ihnen nimmt die Riester-Rente doch gar nicht in Anspruch.

Raffelhüschen: Ich kann das Gejammere der heutigen Beschäftigten nicht nachvollziehen. Diese müssen nur sechs Prozent ihres Einkommens zusätzlich sparen, um sich das heutige Rentenniveau für die Zukunft zu sichern. Die Sparquote der heutigen Rentnergeneration lag bei 14 Prozent.

Wulff: Und wenn ich keine Luft zum Sparen habe?

Raffelhüschen: Ich bitte Sie. Sie bekommen einen Riester-Vertrag schon ab fünf Euro im Monat mit allen staatlichen Zulagen. Wer ist denn nicht in der Lage, fünf Euro im Monat einzuzahlen?

Vielleicht jene, die weniger als sieben Euro Lohn kassieren. Solche Leute hat NRW-Ministerpräsident Rüttgers im Sinn, wenn er fordert, dass langjährige Beitragszahler eine Rente oberhalb der Grundsicherung bekommen müssten.
Raffelhüschen:
Das ist blanker Populismus. Wir haben einen Grundsatz in Deutschland, was die Grundsicherung angeht: Ein Armer im Alter wird genauso behandelt wie ein armer Junger. Rüttgers will diesen Gleichheitsgrundsatz aufbrechen. Denn demnächst sollen wir arme Alte besser behandeln als arme Junge.

Wulff: Hat es denn etwas mit Gleichheit zu tun, wenn jemand, der für seine Rente nichts tut, am Ende genauso die Grundsicherung erhält wie jemand, der sein Leben lang gearbeitet hat, der zwar wenig, dafür aber sehr lange in die Rentenkasse eingezahlt hat? Das ist schlicht ungerecht. Der Faule wird belohnt, der Fleißige bestraft.

Raffelhüschen: Die Grundsicherung steht jedem zu, und sie wird vom Steuerzahler finanziert und nicht vom Beitragszahler. Voraussetzung ist: Der Betroffene muss bedürftig sein.

Interessanterweise hat sich der CDU-Vorstand in einer "Sprachregelung" darauf verständigt, dass steuerfinanzierte Zusatzleistungen bedarfsabhängig bleiben sollen. Führt das den Rüttgers-Vorschlag nicht ad absurdum?
Raffelhüschen:
Ich glaube, es handelt sich um einen semantischen Trick: Der CDU-Vorstand hat in dem Beschluss das, was wir schon kennen, etwas anders formuliert, um Rüttgers damit augenscheinlich entgegenzukommen.

Wulff: Das sehe ich anders. Uns geht es um Leistung und Gerechtigkeit.

Raffelhüschen: Wir brauchen keine Bedürftigkeitsprüfung. Wir haben sie schon: Wer bedürftig ist, erhält die Grundsicherung. Vielleicht ist aber auch eine Bedarfsprüfung II gemeint, also eine großzügigere Grundsicherung.

Wulff: Das ist mir zu akademisch. Wir müssen auch akzeptieren, dass sich die Bedürfnisse in der Gesellschaft ändern. Reaktionen auf solche Entwicklungen immer gleich als populistisch abzutun, ist mir zu einfach.