Das Video von der Betancourt-Befreiung: Bilder des Wahnsinns
Das nun vom Militär veröffentlichte Video von der spektakulären Befreiungsaktion der früheren kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt und 14 weiterer Geiseln gibt Einblick in die sonst unzugängliche Welt der Geiselhölle in den Dschungeln des südamerikanischen Landes.
Buenos Aires/Bogotá. Selten zuvor hat es derarterschütternde Bilder vom alltäglichen Wahnsinn des kolumbianischenGeiseldramas gegeben. Das Video von der Befreiung der früheren kolumbianischen Präsidentschaftskandidatin Ingrid Betancourt zeigt keine Gewaltszenen, nein.
Vielmehr wird die Geschäftsmäßigkeit offenbar, mit der hier Menschen bis zuzehn Jahre in der Hoffnungslosigkeit des Geiseldaseins gehalten werden. So brüllt eine der amerikanischen Geiseln Wortfetzen wie „Familie“ und„sehr“ dem Kamerateam zu. Dann reckt er seine mit einem Plastikbandgefesselten Hände vor die Linse des Kameramanns, von dem er noch garnicht ahnt, dass er einer seiner Befreier ist.
Die vermeintlichenJournalisten sind Soldaten, die vorher ihre Rolle bei„Schauspielunterricht in Hollywood-Stil“ mit US-Hilfe übten, schildertdas „Wall Street Journal“ den Coup.
Nicht nur die Rebellen, die die Geiseln bewachen, auch Betancourt unddie anderen 14 Opfer fallen auf den Trick der Soldaten herein, die sichwie FARC-Rebellen bewegen. Mit Hilfe von Aussteigern haben siewochenlang geprobt, sich wie Guerilleros zu verhalten und so zusprechen.
Die Rebellen sind deshalb entspannt, Betancourt wirktenttäuscht. Später, in der Freiheit, wird sie berichten, dass sie allevon Verzweiflung gepackt wurden, als ihnen die Hände gefesselt wurden.Die Angst, doch wieder nur von einem Lager ins andere verlegt zuwerden. Gefilmt zu werden nur zu Propagandazwecken.
Einige der Geiseln aber können sich mit dieser weiteren Enttäuschungnicht abfinden. „Hört mal. Ich habe nur eins zu sagen: Der hier voreuch steht, ist seit zehn Jahren gefesselt. Ich bin der OberleutnantMalagón, von den ruhmreichen Streitkräften Kolumbiens“, sagt er hastigund mit aufgeregter, fast kippender Stimme in die Kamera der„Journalisten“.
Sie spielen ihre Rolle so gut, dass sie sich höchstensdurch die verwackelten Bilder und viel zu schnelle Zoomfahrten derKamera verraten könnten. Im Hintergrund stehen etwa 20 bewaffneteFARC-Rebellen mitten in Kokasträuchern. Auch dieses ein Bild von hoherSymbolkraft.
„Ihr müsst dies senden, weil ich etwas wirklich Wichtiges zu sagenhabe“, fährt der Mann hastig fort, aber dann wird er aus dem Bildgerissen. Für ihn und die anderen Geiseln muss dieses Kamerateam eineunglaubliche Chance in der Zeitlosigkeit gewesen sein, um vor allemeins zu sagen:
Es gibt uns noch. Helft uns! Keiner der Geiseln weiß, ober so eine Chance je wieder bekommen wird. Wie nahe sie der Rettung indiesem Augenblick tatsächlich schon waren, ist den Geiseln ganzoffensichtlich nicht klar.
Die Militärs haben das Video veröffentlicht, um Mutmaßungen zuentkräften, die ganze Aktion sei inszeniert gewesen und die Geiselntatsächlich gegen einen Millionenbetrag freigekauft worden. Darübersagt das Video wenig aus. Die Täuschung aber war offenbar perfekt.
EndeMai hatten nach Darstellung des Militärs drei Offiziere dieentscheidende Idee entwickelt: Sie wollten die Rebellen in einemgigantischen Bluff dazu bringen, die Geiseln aus dem Lager des FARC-Führers Gerardo Aguilar Ramirez in das Camp des neuen FARC-Chefs,Alfonso Cano, bringen zu lassen. Die Rebellen sollten glauben, dassCano Verhandlungen mit Frankreich und anderen Staaten beginnen wollte.
Entscheidend war dafür Medienberichten zufolge eine manipulierteTelefonleitung, über die Mitarbeiter des kolumbianischenMilitärgeheimdienstes Kontakt in beide FARC-Lager aufnehmen konnten. Ineinem falschen Spiel überzeugten die Militärs beide Seiten von derNotwendigkeit der Verlegung der Geiseln. Aguilar dachte, er spräche mitCanos Leuten. Cano dachte, er verhandle mit Aguilar - aber inWirklichkeit sprachen sie immer mit dem Geheimdienst.
So erklärt sich wohl auch die lockere Haltung der Rebellen vor Ort. Diefalschen Journalisten versuchen zum Beispiel, einen Kommandanten zuinterviewen. „Erlauben Sie, bitte nur eine Frage, es ist ganz einfach“,insistiert ein Mann mit dem Mikrofon in der Hand. Der FARC-Kommandantwehrt jedoch lachend und fast etwas schüchtern ab und ahnt überhauptnicht, dass er nur abgelenkt werden soll.
Ob nun mit Geld nachgeholfen wurde oder nicht, bleibt unklar. DenEx-Geiseln aber ist das herzlich egal. Das etwas mehr als vierminütigeVideo endet mit einer Szene im weiß angepinselten Militärhubschrauberaus russischer Produktion.
Er ist inzwischen in der Luft und die beidenbewaffneten FARC-Begleiter sind überwältigt. „Ihr da, ihr seid frei. Jafrei“, ist eine Stimme zu hören, während die Kamera auf Betancourtszugleich vor Schmerz und Freude verzerrtes Gesicht hält.
„Wir haben immer auf Euch gewartet, zehn Jahre gewartet. Zehn Jahre aufdie Streitkräfte gewartet. Oh mein Gott, danke“, brüllt der neben ihrsitzende Soldat durch den Krach des Hubschraubers. Das ist eine Anklagevor allem gegen die Rebellen.
Aber nicht nur. Auch der kolumbianischeStaat hat lange wenig unternommen. Und etwa 700 weitere Menschen sitzennoch immer in den FARC-Gefängnissen. Und warten.