Der China-Boom am Rhein
Warum der Wirtschaftsgigant aus Fernost das Land Nordrhein-Westfalen als erste Adresse in Europa sieht.
Düsseldorf. Es war die spektakulärste Demontage der Industriegeschichte, und doch ging sie typisch asiatisch ohne viel Aufhebens vonstatten: Kurz nach der Jahrtausendwende nahmen chinesische Ingenieure zwei Stahlwerke in Dortmund auseinander, um sie im Land der Mitte wieder aufzubauen.
Die Industrie-Ungeheuer lösten sich in Millionen Einzelteile auf, verschwanden, als seien sie Konstrukte eines gigantischen Mobilbaukastens. Nach zwei Jahren klafften nur noch zwei Brachflächen in der Dortmunder Stadtlandschaft, jede zehn Mal so groß wie die Düsseldorfer Altstadt.
Spätestens da ging den Deutschen ein Licht auf: Galten Chinesen zuvor eher als Experten für Frühlingsrollen, vollführten hier Heerscharen junger, mit Laptops ausgestatteter Spezialisten ein technisches Wunderwerk.
Es muss nicht immer gleich der Export ganzer Stahlwerke sein. Gestern eröffnete China seine erste Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Tianjin; die dort verkehrenden Züge stammen aus den Siemens-Werken in Krefeld-Uerdingen und Erlangen. "China ist neben den USA unser attraktivstes Zielland für Direktinvestoren", sagt Petra Wassner, Geschäftsführerin der für Standortmarketing zuständigen NRW-Invest GmbH. "Auf der anderen Seite entwickelt sich Nordrhein-Westfalen zu einem der wichtigsten Standorte für chinesische Firmen in Europa."
Wassner kann mit imposanten Zahlen aufwarten: Nachdem sich von 2000 bis Ende 2006 die Zahl der chinesischen Unternehmen zwischen Rhein und Weser vervierfacht hatte, stieg die Anzahl der Firmen aus der Volksrepublik auch im Jahr 2007 wieder um 15Prozent an. NRW exportierte 2006 Waren für 6,1 Milliarden Euro nach China und führte Waren für 12,4Milliarden Euro ein.
Die Unternehmen verkauften vor allem Maschinen, Stahlerzeugnisse und Produkte der chemischen Industrie ins Reich der Mitte, NRW importierte vorwiegend Elektronik, Computer und Textilien.
Jüngstes Vorzeige-Unternehmen von NRW-Invest ist Sany Heavy Industry, ein chinesischer Baumaschinen-Konzern, der gerade sein Europa-Hauptquartier in Köln aufbaut. Zufrieden blickt Sany-Europa-Vizechef Xingliang Feng aus seinem Fenster des "KölnTurms" in Richtung Dom. "Maßgeblich für uns waren die guten Verkehrsanbindungen, die zentrale Lage NRWs auf dem Kontinent und das große Angebot qualifizierter Arbeitskräfte", sagt er. Für den Exporteur ist klar: Europas Land der Mitte heißt Nordrhein-Westfalen.
Doch längst zeigt der China-Boom auch Schattenseiten. So lieferten sich im vergangenen Herbst zwei chinesische Speditionen der Textilindustrie in einem Neusser Einkaufszentrum eine wilde Schießerei. Offenbar ging es um Aufträge, Dumpinglöhne und die Vorherrschaft am Standort. Viele Chinesen, die in der Textilindustrie arbeiten, halten sich illegal in Deutschland auf. Unter ihnen auch Mitglieder der gefürchteten "Triaden", der chinesischen Mafia.
Beunruhigender noch: Chinesische Unternehmen kupfern immer perfekter ab. "Der Schaden durch chinesische Plagiate wird auf jährlich 30 Milliarden Euro geschätzt", sagt Ludwig Georg Braun, Präsident des Industrie- und Handelskammertages.
Wo Deutschland Milliarden in die Entwicklung neuer Technologien steckt, kopieren die Chinesen, was das Zeug hält. So waren die Manager des Konzerns MAN kürzlich "stinksauer", als sie ein Fernost-Plagiat ihres preisgekrönten Luxus-Reisebusses Neoplan Starline sahen.