Die Wunden von Winnenden
Am Mittwoch begann der erste Zivilprozess. Die Frau eines Opfers fordert Schadensersatz vom Vater des Täters.
Stuttgart. Dass Richterin Ingeborg Hagenlocher über einen Amoklauf verhandelt, merkte man am Mittwoch nicht im Stuttgarter Landgericht. Es geht um die Tragödie von Winnenden mit insgesamt 16 Toten. Doch die Anwälte tauschten sachlich Argumente über mögliche Schadensersatzhöhen und Altersobergrenzen für Unterhaltszahlungen von Kindern aus. Emotional wurde es nie — und die beiden wichtigsten Menschen des Tages saßen ohnehin nicht im Saal: die Klägerin und der Beklagte.
Klägerin ist eine Frau, die am 11. März 2009 zur Witwe wurde. Ihr Mann wollte damals in einem Autohaus ein Fahrzeug kaufen und wurde von dem 17-jährigen Tim K. erschossen. Sie klagt gegen den Vater des Jungen. Der Jugendliche hatte den Autohauskunden, 14 andere Menschen und schließlich sich selbst getötet. Vier Jahre und vier Monate ist das nun her. Und nach der jahrelangen strafrechtlichen Aufarbeitung mit anderthalb Jahren Haft auf Bewährung für den Vater begann am Mittwoch der erste Zivilprozess gegen ihn.
Zu Beginn entschuldigt Anwalt Oliver Leuze sich für die Abwesenheit seiner Mandantin: Zu groß sei der Medienrummel für die 44-Jährige gewesen. 80 000 Euro will die Frau vom Vater des Todesschützen für Bestattungskosten und Unterhaltszahlungen für ihre beiden Kinder. Diese waren acht und elf Jahre alt, als sie ihren Vater verloren. Grund für die Klage sei die fahrlässige Tötung ihres Mannes — fahrlässig, weil der Vater von Tim K. die Waffe nicht ordnungsgemäß im Waffenschrank verschlossen habe.
Erich Silcher, Anwalt des Beklagten, entschuldigt seinen Mandanten aus den gleichen Gründen. Die Forderung wolle der Vater nicht anerkennen. Der Teenager habe ohnehin die Kombination für den Waffenschrank gekannt, somit bestehe kein „Zurechnungszusammenhang“. Die Richterin ließ durchblicken, dass sie diese Argumentation wohl nicht gelten lassen wird. „Wenn der Sohn den Code kannte, muss man sich fragen, warum“, sagt sie.
Damit war der Verhandlungstag schon fast am Ende. Ohnehin versuche man, außergerichtlich eine Einigung zu finden, erklären die Anwälte. Die gelte dann vermutlich auch für fünf ähnliche Klagen, die anhängig sind.