Ein zusätzliches Machtzentrum

Alle Parteien haben in ihren Wahlprogrammen neben Altbekanntem auch einige ungewöhnliche Ideen parat, die wir in dieser Serie testen. Heute: der Vorschlag der Freien Wähler, den Bundespräsidenten direkt zu wählen.

Die Idee: Die Freien Wähler wollen generell mehr Volksentscheide und Mitsprache der Bürger. Der Bundespräsident soll deshalb direkt von den Bürgern gewählt werden. Unklar bleibt im Wahlprogramm allerdings, wer Kandidatenvorschläge machen darf. Bisher wird der Bundespräsident, Amtszeit fünf Jahre, von der Bundesversammlung gewählt. Das ist ein Gremium aus allen Bundestagsabgeordneten (derzeit 620) und einer gleich hohen Zahl von Vertretern der Landtage. Die Landtagsfraktionen können allerdings auch Externe — zum Beispiel Prominente — benennen, was immer häufiger geschieht. Die Kandidatenvorschläge kommen von den Parteien, die in der Bundesversammlung vertreten sind. Der Bewerber muss selbst nicht Mitglied des Gremiums sein. Vor allem an der Vorauswahl hatte sich Kritik entzündet: Die letzten Bundespräsidenten wurden zunächst von einem kleinen Kreis um Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgewählt.

Der Haken: Nach dem Grundgesetz hat der Bundespräsident eine schwache Stellung. Er repräsentiert das Land, kann aber, außer Reden zu halten, wenig entscheiden. Nur beim Missbrauch der Demokratie kann er als letzte Instanz, die zum Beispiel Gesetze freigeben muss oder Regierungsmitglieder ernennt, ein Bollwerk sein. Die Bundeskanzlerin hat hingegen viel Macht. Die wird legitimiert durch die Bundestagswahl und die Koalitionsmehrheit im Bundestag, die die Kanzlerin bestimmt. Ein direkt gewählter Bundespräsident wäre ein zusätzliches Machtzentrum, und er hätte direkt das Volk hinter sich. Das macht ihn stark. Er würde zusätzliche Kompetenzen benötigen und wahrscheinlich auch bekommen. Das ganze Machtgefüge geriete außer Balance.

Die Bewertung: Man sollte die Idee nicht umsetzen. Das derzeitige System hat sich bewährt. Die Kanzlerdemokratie ist mindestens ebenso handlungsfähig wie die Präsidialdemokratie französischer oder amerikanischer Prägung. Notwendig ist allerdings, die Kandidatenfindung transparenter zu gestalten, zum Beispiel durch eine Urwahl in den Parteien.