Ein totales Rauchverbot ist möglich
Auf den ersten Blick ist der Karlsruher Richterspruch ein Sieg für die Raucher. Doch am Ende könnte eine rigorose Regelung stehen.
Karlsruhe. Selten dürfte ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts so unmittelbare Konsequenzen gehabt haben. Seit Mittwoch, 10.05 Uhr, haben die Raucher in zahlreichen "Eckkneipen" der Republik wieder freie Bahn. Denn mit der Verkündung des "Raucherurteils" durch den Gerichtspräsidenten und gelegentlichen Zigarillo-Raucher Hans-Jürgen Papier war klar: Ausnahmen von den Rauchverboten, wie sie in fast allen Ländern vorgesehen sind, dürfen nicht die großen Lokale bevorzugen, sondern müssen für alle gelten.
Allerdings tun die Wirte gut daran, zunächst einmal das "Kleingedruckte" der von Karlsruhe dekretierten Übergangsregelung zu lesen, die bis zum Erlass neuer Gesetze gilt, spätestens bis Ende 2009. Denn bevor sie ihren Gästen "Feuer frei" melden dürfen, müssen sie eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen: weniger als 75 Quadratmeter Fläche, kein Zugang für Jugendliche, Kennzeichnung an der Tür.
Vor allem aber dürfen keine "zubereiteten Speisen" angeboten werden - ein Begriff, der viel Raum für behördlichen Kleinkrieg bietet. Was ist mit der fertigen Bulette, dem aufgewärmten Würstchen, der gebutterten Brezel - gilt das schon als "zubereitete Speise"?
Der Tübinger Wirt Uli Neu, einer der Beschwerdeführer, hat nach anfänglichem Jubel seine Angestellte jedenfalls angewiesen, die Aschenbecher wieder in den Schrank zu räumen, denn in seinem "Pfauen" kann auch gegessen werden.
Für die meisten Bundesländern beginnt nun die Arbeit an einem neuen Kompromiss. Fast alle Gesetze haben Ausnahmeregelungen, die mit den von Karlsruhe beanstandeten Gesetzen in Baden-Württemberg und Berlin vergleichbar sind - womit sie im Widerspruch zum Grundgesetz stehen dürften. Die Lösung "Raucherräume für die großen, Rauchverbot für die kleinen Lokale" hat das Gericht jedenfalls ein für alle Mal untersagt.
Wenn es Ausnahmen vom Rauchverbot gibt, müssen sie für alle gelten, zumal ein Rauchverbot für Eckkneipen mit ihrer überwiegend rauchenden Klientel das wirtschaftliche Aus bedeuten kann. Die ersten Länder, etwa Bremen und Hessen, sind umgehend auf die Linie des Urteils eingeschwenkt.
Allerdings kann das Urteil hier und da auch zum Pyrrhus-Sieg für die Raucherlobby werden. Denn der Erste Senat - als "Berichterstatter" federführend war Reinhard Gaier - zählt den Gesundheitsschutz zu den "überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern".
So wichtig, dass der Qualm sogar ausnahmslos aus den Kneipen verbannt werden darf: "Ein generelles Rauchverbot in Gaststätten, das diesem Ziel dient, hätte verfassungsrechtlich Vorrang vor der Berufsfreiheit der Gastwirte und der Verhaltensfreiheit der Raucher", sagte Präsident Papier bei der Urteilsverkündung.
Ob es dazu kommt, überlässt Karlsruhe zwar ausdrücklich der Gestaltungsfreiheit der 16 Landesgesetzgeber. Gleichzeitig aber verwies das Gericht ausdrücklich auf die - von der Raucherlobby immer wieder angezweifelten - Risiken des Passivrauchens: Nach einer Berechnung des Deutschen Krebsforschungszentrums sterben daran jährlich 3300 Nichtraucher, so das Gericht.
Von Nachbesserungen dürften nach dem Karlsruher Spruch damit wohl nur Bayern und das Saarland verschont bleiben: Das rigide Rauchverbot im Freistaat, wie es zumindest dem Gesetzestext nach besteht, hält den Anforderungen des Urteils wohl stand. Gleiches gilt für das Saarland, das die höchstrichterlich angemahnten Ausnahmen für Kleinkneipen bereits im Gesetz stehen hat.
Zugleich spiegelt das Urteil wider, dass die Meinungen beim Thema Rauchen nicht nur in der Bevölkerung, sondern auch im Gericht auseinandergehen. Zwei Richter haben abweichende Meinungen formuliert, eine davon hält ein absolutes Rauchverbot für verfassungswidrig, weil damit das "gesellige Beisammensein und Feiern bei Tabak, Speise und Trank" völlig aus dem öffentlichen Raum verbannt würde. Der Widerspruch stammt übrigens nicht von Christine Hohmann-Dennhardt, der einzigen regelmäßigen Raucherin im Senat. Sondern von Johannes Masing - er ist Nichtraucher.