Endlich ist Karadzic hinter Schloss und Riegel
Der Serbenführer muss sich bald vor dem Tribunal in Den Haag verantworten. Gestern wurde er ausgeliefert.
Den Haag. Das Ende eines langen Versteckspiels: Fast auf den Tag genau 13 Jahre nach Erhebung der ersten Anklage gegen den damaligen bosnischen Serbenführer Radovan Karadzic fielen gestern im Kriegsverbrechergefängnis in Scheveningen die Riegel hinter ihm ins Schloss. Für Chefankläger Serge Brammertz, der sich unverzüglich und zum ersten Mal überhaupt seit seinem Amtsantritt vor die Presse begab, ein großer Erfolg.
Doch es ist auch eine große Aufgabe für ihn "Es wird ein schwieriges Verfahren", sagte Brammertz voraus. Und er deutete bereits an, dass Fehler, die die Anklage unter seiner Vorgängerin Carla Del Ponte im Verfahren gegen den früheren jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic machte, nicht wiederholt werden sollen. Milosevic starb im März 2006, als sein Prozess bereits vier Jahre lief, aber ein Urteil noch nicht abzusehen war.
Während Del Ponte ihre Anklagen in der Regel mit unzähligen - auch eher unbedeutenden - Tatvorwürfen spickte und damit eine riesige Beweisaufnahme erforderlich machte, will sich Brammertz auf das Wesentliche konzentrieren. "Wir werden das Verfahren so effizient wie möglich betreiben", versprach der belgische Jurist. Immerhin will er zumindest Karadzic - politisch zweifellos neben Milosevic der Hauptverantwortliche für den Bosnien-Krieg - des Völkermords überführen.
Das hat die Anklage schon in etlichen anderen Fällen versucht - aber vergeblich. Zwar haben das Jugoslawien-Tribunal und später auch der Internationale Gerichtshof unzweideutig festgestellt, dass die Ermordung Tausender bosnischer Muslime durch bosnische Serben Völkermord war.
Doch noch niemand wurde unmittelbar persönlich dafür zur Rechenschaft gezogen. Dicht daran war nur das Urteil gegen den ehemaligen General Radislav Krstic, das aber nur auf Beihilfe zum Genozid lautete. Krstic wurde dafür zu 35 Jahren Haft verurteilt.
Bis das Gericht über Karadzic urteilt, werden noch Jahre vergehen. Heute erhält der 63-Jährige erstmals Gelegenheit, einen seiner Richter kennen zu lernen. Der Niederländer Alphons Orie ist Vorsitzender der zuständigen Strafkammer und wird den ersten Auftritt Karadzic’ vor dem Tribunal persönlich leiten. Eigentlich geht es dann nur um Formalitäten, allerdings kann der Angeklagte dann auch schon auf schuldig oder nicht schuldig plädieren.
In jedem Fall dürfte Karadzic einen ersten Einblick in seine Strategie geben. Zum Beispiel, ob er einen Verteidiger möchte oder sich selbst verteidigt wie einst Milosevic. Dieser nutzte seinen ersten Auftritt vor dem Tribunal sogleich zu politischen Tiraden und griff die Richter als Werkzeug zur Rechtfertigung der Nato-Aggression gegen sein Jugoslawien an.
Im Laufe der Jahre, in denen er auch stets kränker wurde, mäßigte Milosevic seinen Ton. Doch kooperativ wurde er nie. Für viele Angeklagte - und auch ihre zahlreichen Unterstützer auf dem Balkan - bleibt das Tribunal ein antiserbisches Instrument.