Sozialtarif für Strom? Dicke Pullover?

Obwohl die Heizkosten stark ansteigen, bleibt Billig-Energie für Bedürftige umstritten.

Berlin. Der Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) rät Verbrauchern wegen der steigenden Energiepreise, die Heizung zu drosseln und "dicke Pullover" anzuziehen, wie die Rheinische Post berichtete. Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) fordert dagegen Sozialtarife, von denen einkommensschwache Haushalte profitieren.

Sarrazin verweist darauf, dass Empfängern von Arbeitslosengeld II die Heizkosten ohnehin erstattet werden. Gabriel hat Geringverdiener im Blick. Als Vorbilder bezeichnet der Minister andere europäische Staaten, in denen es bereits niedrigere Tarife für ärmere Haushalte gebe. So seien etwa in Belgien die ersten 500 Kilowattstunden Strom pro Kopf für Bedürftige kostenlos, erst danach gelte der normale Tarif.

Hartz-IV-Empfänger erhalten Miete und Heizkosten erstattet. Die Ausgaben für Strom und Warmwasser müssen sie aber aus dem Regelsatz von 351 Euro monatlich selbst aufbringen. Bei steigenden Stromkosten bleibt also weniger Geld für andere Ausgaben des täglichen Lebens. Der Paritätische Wohlfahrtsverband berichtet, angesichts steigender Energiepreise würden zunehmend Geringverdiener eine Aufstockung ihres Einkommens aus Hartz-IV-Leistungen beantragen.

Ja, sagt SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber. Auch die Post sei schließlich zu einer bestimmten Anzahl von Filialen verpflichtet worden. Im Bereich der so genannten Daseinsvorsorge müssten strengere Maßstäbe gelten als bei anderen Wirtschaftszweigen.

Das Argument, auch der Bäcker werde nicht vom Staat zu einem bestimmten Brötchenpreis verpflichtet, will der Sozialdemokrat daher nicht gelten lassen. Kelber appelliert an die Energie-Konzerne, Selbstverpflichtungen einzugehen, um gesetzlichen Vorgaben zu entgehen. Dagegen warnt CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer vor "Staatsinterventionismus" nach DDR-Vorbild.

Wege aus der Energiekrise

Schätzungen des Deutschen Mieterbundes (DMB) zufolge könnten die Heizkosten 2008 im Vergleich zum Vorjahr um 40 bis 50 Prozent steigen. Bei einer 90 Quadratmeter großen Wohnung sei mit Mehrkosten von fast 500 Euro im Jahr zu rechnen, warnt der DMB. Allerdings ist fraglich, ob und wann es Energie-Sozialtarife auf breiter Front geben wird.

Bislang ist der Energiekonzern Eon, der bestimmten Kunden einen Sozialrabatt gewährt, die große Ausnahme. Nach Angaben von Eon erhalten mittlerweile gut 20000 Kunden eine Vergünstigung von 60 bis 120Euro jährlich. Die Kunden werden von der Grundgebühr befreit, eine Ermäßigung auf den Kilowattstunden-Preis gibt es allerdings nicht. Also werden auch Preiserhöhungen nicht unmittelbar aufgefangen.

Als Nachweis der Bedürftigkeit gilt bei Eon die Befreiung von der GEZ-Gebühr. Die Mehrheit der Energieversorger lehnt Sozialtarife ab. Als Drohung steht im Raum, Kosten für Tarifermäßigungen durch Preiserhöhungen an anderer Stelle auszugleichen.

Nach Ansicht von FDP-Generalsekretär Dirk Niebel würden Sozialtarife "vor allem Neid schüren". Deshalb machen sich die Liberalen dafür stark, den Mehrwertsteuersatz auf Energie von 19 auf sieben Prozent zu senken. "Sollte dies an europarechtlichen Bedenken scheitern, wäre die Absenkung der Ökosteuer eine schlüssige Alternative, um Bürgern und Wirtschaft die benötigte Entlastung zu verschaffen", sagte Niebel unserer Zeitung.

Die Energie-Expertin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) regt an: "Die Politik sollte Verbraucher unterstützen, die Energie einsparen wollen - durch zinsgünstige Kredite für den Kauf moderner Kühlschränke."

Die Union macht sich für längere Laufzeiten der Kernkraftwerke stark. Im Gegenzug sollen die Energiekonzerne die Preise senken und mehr Geld in die Energieforschung investieren. "Sinnvoll wäre es, günstigere Stromtarife für einkommensschwache Haushalte gemeinsam mit einem Atomkonsens II zu vereinbaren", sagte DIW-Expertin Claudia Kemfert.