Korruption: Feine englische Vetternwirtschaft
Wie EU-Abgeordnete ihre Angehörigen versorgen.
Brüssel. EU-Abgeordnete versorgen in weit größerem Umfang als bislang bekannt Familienangehörige mit Assistentengeldern aus der EU-Kasse. Vor allem Briten bedenken mit den zur Verfügung stehenden Geldern gern Freunde und Angehörige.
Dank eines Donnerwetters von David Cameron, dem Chef der Konservativen im britischen Unterhaus in London, liegen nun zumindest über seine Tory-Abgeordneten entsprechende Finanz-Dokumente vor. Danach überweisen 16 der 27 britischen Konservativen im Europäischen Parlament ihren Ehegatten, Lebenspartnern, Söhnen und Töchtern - oder gleich mehreren Familienmitgliedern - jährlich bis zu 99993 Euro aus der EU-Kasse.
Mit knapp 100000 Euro führt der britische Tory-Abgeordnete Den Dover die Liste an. Er zahlt aus dem Topf für Assistentengehälter seiner Frau für Buchhaltung und andere Dienste jährlich bis zu 62000 Euro und seiner Tochter als Teilzeit-Assistentin bis zu 38000 Euro.
Dover begründet diese Summen in seiner "Erklärung zu den finanziellen Interessen" an das EU-Parlament mit den "sehr unsozialen Arbeitszeiten" der beiden Frauen. Dovers Parteifreund Malcom Harbour, der wie alle EU-Abgeordneten über monatlich 17000 Euro Assistentengeld frei verfügen kann, zahlt an "meine Frau Penny" (Penelope Margaret) 30000 britische Pfund im Jahr. Das sind 38000 Euro für die Frau Assistentin, die im Heimatbüro Solihull in den West Midlands das europäische Wirken des Gatten unterstützt.
Als Spezialist für die Automobil-Gesetzgebung hat dieser sich zusätzliche Finanzquellen erschlossen: Japans Autokonzern Toyota spendierte dem Ehepaar beste Plätze beim belgischen und beim britischen Formel-Eins-Grand-Prix 2007. Ford, Fiat, Honda sowie Land Rover überließen dem Politiker Neuwagen - "zwecks Begutachtung", wie Harbour in der Offenlegung seiner finanziellen Interessen schreibt.
Der Tory-Chef im EU-Parlament, Giles Chichester, ist inzwischen auf Druck von Parteiführer Cameron vom Vorsitz zurückgetreten. Eine üppige Versorgung der Familie sowie ungehemmte Empfänglichkeit für die kleinen Geschenke von Stromkonzernen und Tabakmultis hatten ihn allzu sehr ins Zweilicht geraten lassen. Die Leistungen seiner Frau ("Teilzeit-Arbeit") honoriert der EU-Abgeordnete Chichester mit 38000 Euro im Jahr. Die gleiche Summe überwies er bislang jährlich an seine Londoner Firma, "für Sekretariats- und Assistenzdienste".
Nach Ansicht des britischen EP-Liberalen Chris Davies ist das einnehmende Wesen zahlreicher Landsleute im EP keine Überraschung. Dass dort oft "sehr viel Geld für sehr wenig Arbeit" gezahlt werde, habe einen einfachen Grund. "Niemand überprüft diese 50000 bis 60000 Euro Zusatzeinkommen im Jahr." Ein Parlamentskollege beschäftige sogar seine Frau als Assistentin, obwohl die zugleich in der Heimat eine Teilzeit-Stelle als Lehrerin habe.
Gegen ein Verbot der Angehörigen-Versorgung im EP gibt es beträchtlichen Widerstand. Die liberale Abgeordnete Diana Wallis hat nach Angaben von Parlaments-Vizepräsident Ingo Friedrich bereits gedroht, vor Gericht zu gehen, wenn sie ihren Ehemann nicht weiter als Assistenten bezahlen dürfe.
Angesichts solcher Drohungen verschob die Parlamentsspitze die vom Plenum beschlossene Beendigung der dubiosen Praxis zum Ende der laufenden Legislatur 2009. Nun dürfen die Abgeordneten bereits eingestellten Gatten, Kindern und anderen Verwandten das schöne Zubrot bis zum Jahr 2014 weiter gewähren.
Die 99 deutschen Europaparlamentarier sind in diesem Fall übrigens sauber: Sie haben sich verpflichtet, ihre Familienmitglieder nicht mehr aus der EU-Kasse zu versorgen.