30 Jahre Grüne im Bundestag/ laudia Roth: „Wir hatten keine Erfahrung“
Grünen-Chefin Claudia Roth über die parlamentarischen Anfänge ihrer Partei, Weinskandale und skeptische Journalisten.
Berlin. Heute vor 30 Jahren zogen die Grünen erstmals in den Bundestag ein. Bei der Wahl am 6. März 1983 erhielten sie 5,6 Prozent der Stimmen. Zwei Jahre später legte sich die Fraktion eine neue Pressesprecherin zu. Ihr Name: Claudia Roth. Heute ist sie die Parteivorsitzende.
Frau Roth, können Sie sich noch an ihren ersten Arbeitstag als grüne Pressesprecherin erinnern?
Claudia Roth: Das war dramatisch. Am Vorabend saß ich noch mit Freunden zusammen, um zu feiern. Und nach dem Essen bekam ich Magenbeschwerden, weshalb ich am nächsten Tag ziemlich kränklich im Bonner Tulpenfeld (Anm. d. Red.: Bundespressekonferenz) ankam.
Und wie ging es weiter?
Roth: Was ich schnell bemerkte, war die große Distanz der Journalisten gegenüber den Grünen. So nach der Devise: Sollen wir uns überhaupt auf die einlassen? Die sind ja eh bald wieder weg.
Wie ließ sich das ändern?
Roth: Ich erinnere mich gut, dass in dieser Zeit die großen Weinpanscherskandale waren. Also haben wir Pressekonferenzen gemacht, bei denen auch die ersten Bio-Winzer auf dem Podium saßen. Umso größer war der Andrang der Journalisten, denn diese Winzer hatten auch ihren Wein mitgebracht.
Was haben die Grünen damals durchgesetzt?
Roth: Ein Einfuhrverbot von Schildkrötensuppen. Gott, was wurden wir da belächelt. Viel wichtiger war aber, dass die Umwelt durch uns eine Stimme bekam im Bundestag. Oder nehmen Sie unseren damaligen Fraktionsvorsitzenden Christian Schmidt. Ein Rollstuhlfahrer. Für Menschen mit Behinderung gab es kein Rednerpult. Wenn Schmidt im Bundestag sprach, konnte man ihn über den Haus-Kanal nicht sehen, weil er neben dem Pult sitzen musste. Auch bei Rechten von Menschen mit Behinderung waren wir Vorreiter.
Ein grünes Markenzeichen war das Rotationsprinzip. Abgeordneten machten alle zwei Jahre Nachrückern Platz. Fluch oder Segen?
Roth: Das war vor allem eine Schwächung. Eigentlich sollte damit eine Machtkonzentration verhindert werden. Aber keiner von uns hatte parlamentarische Erfahrung. Bis man sich eingefuchst hatte, musste man schon wieder gehen. Das hat uns eher geschadet.
Ein Rotations-Befürworter wie Christian Ströbele sitzt bis heute im Bundestag. Verrat an Idealen?
Roth: Nein, Christian Ströbele ist ein extrem basisdemokratischer Abgeordneter, bis heute. Als bislang einziger Grüner hat er bei Bundestagswahlen jetzt schon drei Mal das Direktmandat in seinem Berliner Wahlkreis gewonnen. Christian hat grüne Werte bestimmt nicht verraten.
Inzwischen wird schon über eine schwarz-grüne Koalition diskutiert. Wie wahrscheinlich ist das?
Roth: Das ist doch eher eine Debatte unter Journalisten in Berlin. Wir wollen die Macht, aber nicht, indem wir unsere Inhalte aufgeben, sondern um möglichst viele davon umzusetzen. Gerade die letzten Tage zeigen wieder, dass Union und Grüne gesellschaftspolitisch immer noch Lichtjahre voneinander entfernt sind. CDU und CSU haben nicht verstanden, dass der liebe Gott auch Lesben und Schwule liebt. Und die Union verstärkt mit ihrer Politik die soziale Spaltung. Da kommen wir ganz bestimmt nicht zusammen.
An welches Ereignis aus 30 Jahren grüne Fraktion erinnern Sie sich besonders gern?
Roth: Wenn man heute durch die Landschaft fährt und die vielen Windräder sieht, wenn man sieht, dass Männer Händchen halten und heiraten, oder, dass ins Staatbürgerschaftsrecht Bewegung gekommen ist, dann zeigt das, dass die Grünen zur politischen Veränderung beigetragen haben. Gesellschaftlich und ökologisch. Hier haben wir Pionierarbeit geleistet.