Landtagswahlen AfD-Beben im Osten – Doch CDU gewinnt in Sachsen, SPD in Brandenburg
Dresden/Potsdam · Ein Durchmarsch ist es nicht, doch die AfD triumphiert bei den Landtagswahlen im Osten als zweitstärkste Partei. Die CDU kann ihre Macht in Sachsen trotzdem verteidigen. Und auch die SPD in Brandenburg kann weiterregieren.
Aufatmen bei den Regierungsparteien trotz Rekordergebnissen für die AfD: Die CDU hat die Landtagswahl in Sachsen gewonnen, die SPD hat sich in Brandenburg behauptet. Die AfD wurde aber am Sonntag in beiden Ländern zweitstärkste Kraft, während die Regierungsparteien auf historische Tiefstände stürzten. Sie müssen sich voraussichtlich neue Koalitionspartner suchen. Zum Königsmacher könnten die Grünen werden, die zwar zulegten, aber hinter den Erwartungen zurückblieben.
Das ist das vorläufige amtliche Amtsergebnis für Brandenburg (Stand: 22:30 Uhr):
Nachdem Umfragen lange Zeit in beiden Ländern ein Kopf-an-Kopf-Rennen der Regierungsparteien mit der AfD vorausgesagt hatten, reagierten die Spitzenkandidaten erleichtert. „Das freundliche Sachsen hat gewonnen“, sagte Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). Der Brandenburger Regierungschef Dietmar Woidke (SPD) sagte: „Ich bin erstmal froh, dass das Gesicht Brandenburgs auch in Zukunft ein freundliches bleiben wird.“
Das sind die Hochrechnungen um 21 Uhr für Sachsen:
In Sachsen, in den letzten fünf Jahren von CDU und SPD regiert, könnte es nun auf eine sogenannte Kenia-Koalition von CDU, SPD und Grünen hinauslaufen. Im zuletzt rot-rot regierten Brandenburg könnte es knapp für ein rot-rot-grünes Bündnis reichen. Grünen-Bundeschef Robert Habeck sagte „schwierigste Verhandlungen“ voraus. Das Ergebnis sei aber ein „klarer Auftrag, eine andere, eine weltoffene Regierung zu bilden in beiden Bundesländern, aber vor allem in Sachsen“.
Erleichterung auch im Bund: In Berlin dürfte sich die wackelige große Koalition vorerst stabilisieren, wenn die Regierungschefs an der Macht bleiben. Allerdings dürften die Debatten über die Ausrichtung von Union und SPD lauter werden. In der Union sorgt vor allem die Strategie im Umgang mit der AfD immer wieder für Diskussion.
In allen ostdeutschen Ländern hat sich die AfD nun auf den zweiten Platz geschoben - außer in Thüringen, wo am 27. Oktober ein neuer Landtag gewählt wird. Dort ist sie in den Umfragen aktuell drittstärkste Kraft hinter den regierenden Linken und der CDU.
Großer Verlierer der Landtagswahlen ist die Linke, die in beiden Ländern die schlechtesten Ergebnisse ihrer Geschichte einfuhren. Der Fraktionschef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch, forderte eine Strategiedebatte. „Offensichtlich werden wir nicht mehr als die erste Adresse der Ostinteressen-Vertretung angesehen“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.
Erfreulich: In beiden Bundesländern stieg die Beteiligung im Vergleich zur letzten Landtagswahl 2014 deutlich an: in Sachsen von 49,1 auf 65,5 Prozent, in Brandenburg von 47,9 auf 60,5 Prozent
SACHSEN
Die seit 1990 regierende CDU rutscht auf einen neuen Tiefstand. Sie bleibt zwar an der Macht, eine Fortsetzung der CDU-SPD-Koalition von Ministerpräsident Kretschmer ist aber höchst unsicher. Rechnerisch möglich wäre auf jeden Fall eine Kenia-Koalition von CDU, SPD und Grünen. In Sachsen-Anhalt regiert seit 2016 ein solches Bündnis.
Für Unsicherheit sorgte am Abend das sächsische Wahlrecht und die gerichtlich verfügte Begrenzung der Zahl der AfD-Listenkandidaten auf 30 Mandate. Nach den Hochrechnungen stünden der AfD aber 39 Sitze zu. Da auch AfD-Politiker Direktwahlkreise gewannen, die nicht auf den ersten 30 Plätzen der Landesliste waren, kommt die Partei nun mit mindestens 33 Abgeordneten in das Parlament.
Nach Hochrechnungen von ARD und ZDF kommt die CDU auf 32,2 Prozent (2014: 39,4). Kretschmer hatte das Amt des Ministerpräsidenten 2017 von Stanislaw Tillich übernommen, der nach dem desaströsen Ergebnis bei der Bundestagswahl 2017 zurückgetreten war. Damals war die AfD in Sachsen knapp vor der CDU stärkste Kraft geworden.
Nun kommt die rechtspopulistische Partei den Hochrechnungen zufolge auf 27,7 bis 27,8 Prozent (2014: 9,7). Das ist bundesweit ihr bestes Landtagswahlergebnis überhaupt. Allerdings konnte die AfD die CDU - anders als zuletzt bei der Europawahl - diesmal nicht überholen. Sie löst aber die Linke klar als zweitstärkste Kraft ab.
Die SPD von Spitzenkandidat und Wirtschaftsminister Martin Dulig fällt in Sachsen auf 7,6 bis 7,7 Prozent (2014: 12,4) und fährt damit das bundesweit schlechteste Landtagswahlergebnis ihrer Geschichte ein. Die Grünen steigern sich im Freistaat auf 8,2 bis 8,5 Prozent ((2014: 5,7 Prozent), für die Linke zeichnet sich mit 10,2 bis 10,3 Prozent das schlechteste Ergebnis seit der Einheit 1990 ab (2014: 18,9). Die FDP verpasst mit 4,3 bis 4,5 Prozent (2014: 3,8) erneut den Sprung in den Landtag (2014: 3,8).
BRANDENBURG
In Brandenburg wurde das rot-rote Bündnis von Woidke abgewählt. Die SPD könnte jedoch voraussichtlich in einer rot-rot-grünen Koalition weiterregieren. Nach Auszählung aller Wahlkreise wäre rechnerisch aber auch ein Bündnis mit CDU und Freien Wählern oder mit CDU und Grünen möglich.
Wie in Sachsen erleidet auch die SPD in Brandenburg historische Verluste. Die Sozialdemokraten rutschten in ihrem ostdeutschen Stammland auf 26,2 ab (2014: 31,9). Die AfD mit ihrem radikal rechten Spitzenkandidaten Andreas Kalbitz landet mit 23,5 Prozent knapp dahinter (2014: 12,2), verfehlt aber ihr Ziel, erstmals bei einer Landtagswahl stärkste Kraft zu werden.
Die in Brandenburg traditionell schwache CDU fällt mit 15,6 Prozent (2014: 23,0) auf ihr schlechtestes Landesergebnis und rangiert nun - wie schon bei der Europawahl im Mai - hinter der AfD auf Platz drei. Auch die bisher mitregierenden Linken brechen ein, sie kommen nur noch auf 10,7 Prozent (2014: 18,6). Die FDP verpasst mit 4,1 Prozent (2014: 1,5) die Rückkehr ins Parlament. Die Freien Wähler kommen auf 5 Prozent und würden damit in den Landtag einziehen.
Als Regierungspartner für SPD und Linke kämen die Grünen infrage, die mit 10,8 Prozent nicht nur ihr bestes Ergebnis in Brandenburg, sondern überhaupt in einem ostdeutschen Flächenland einfahren (2014: 6,2). Regierungen von SPD, Grünen und Linken gibt es bereits in Bremen, Berlin und Thüringen - dort allerdings unter Führung der Linken.
BUND
Insgesamt haben die Landtagswahlen fast 30 Jahre nach der Einheit zu starken politischen Verschiebungen in Ostdeutschland geführt. Große Verlierer sind CDU, SPD und Linke, großer Gewinner ist die AfD. Bei der Landtagswahl in Thüringen am 27. Oktober könnte sich dieser Trend fortsetzen. 2014 erzielte die Linke dort ihr historisch bestes Ergebnis mit 28,2 Prozent, seither regiert Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) mit SPD und Grünen.
Union und SPD im Bund können damit erst einmal durchatmen. Der Burgfrieden dürfte aber nur kurz anhalten. Sowohl in der SPD als auch in der CDU gibt es Personaldebatten. Bei der CDU dürfte die Kritik der besonders konservativen Werteunion an Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer nicht verstummen.
Für Unruhe in der großen Koalition sorgt auch der Entscheidungsprozess in der SPD über den neuen Vorsitz - gut möglich, dass bei dem entscheidenden SPD-Parteitag Anfang Dezember die Neuwahl der Spitze mit einem Ausstieg aus der Koalition verknüpft wird. Eine vorgezogene Neuwahl im kommenden Jahr wäre die Folge.