Zweiter Anlauf zum NSU-Prozess: Gewaltige Herausforderungen

Die Erwartungen an das Verfahren sind enorm. Schon bei den Vorbereitungen geriet das Münchner Gericht ins Stolpern.

München. Im zweiten Anlauf soll alles klappen. Heute will das Oberlandesgericht (OLG) München mit dem Prozessauftakt gegen die mutmaßliche Neonazi-Terroristin Beate Zschäpe und vier weitere Beschuldigte endlich zu dem kommen, was Gerichtspräsident Karl Huber „die Kernaufgabe“ nennt. „Eine rechtsstaatlich ordnungsgemäße, revisionssichere Strafverhandlung durchzuführen und die strafrechtliche Schuld der Angeklagten zu überprüfen.“

So formulierte es Huber bei der Pressekonferenz, auf der verkündet wurde, welche Journalisten einen Platz im Gerichtssaal bekommen. Dies geschah im zweiten Versuch, nachdem das Bundesverfassungsgericht Korrekturen angemahnt hatte. Hubers Auftritt ließ ahnen, warum es dazu kommen konnte: „Der Senat des Oberlandesgerichts“, argumentierte Huber, „sollte sich eigentlich auf die juristische Vorbereitung des Prozesses konzentrieren können, war darüber hinaus aber noch mit den ganzen logistischen Problemen befasst.“

Möglicherweise ist es kein Zufall, dass das Gericht gerade über diese Probleme stolperte: Weil die Richter die politische Dimension des Verfahrens, das öffentliche Interesse auch in der Türkei, als lästige Nebenaufgaben sehen. Die auch erledigt werden müssen, aber von der eigentlichen, der juristischen Arbeit nur ablenken.

Das Bundesverfassungsgericht musste die Münchner Richter daran erinnern, dass der Zugang der Öffentlichkeit und das Interesse der türkischen Medien auch eine relevante rechtliche Dimension haben. Der Senat reagierte mit einer Wende: Er verschob den Prozessbeginn und verteilte die Journalistenplätze komplett neu — inklusive einer weiteren Panne.

Für die Angehörigen der Opfer bedeutete die Verschiebung eine zusätzliche Belastung. Als Nebenkläger fordern sie eine umfassende Aufklärung der Hintergründe des Neonazi-Terrors. Auch das Versagen staatlicher Stellen und das Umfeld des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU) müssten in dem Prozess behandelt werden, verlangten am Sonntag Nebenklage-Anwälte. „Es geht nicht darum, in möglichst kurzer Zeit maximale Strafen zu erreichen, sondern um möglichst umfassende Aufklärung“, sagte die Münchner Anwältin Angelika Lex.

Zu viel ist schon schiefgegangen. Mehr als 13 Jahre lang konnten Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in Deutschland untertauchen, und — nach bisherigem Ergebnis der Ermittlungen — zehn Morde, zwei Bombenanschläge und viele Banküberfälle verüben. Zschäpe ist die einzige Überlebende des Trios. Die Bundesanwaltschaft hat sich für eine maximale Anklage gegen die 38-Jährige entschieden, alle Taten sollen ihr als Mittäterin zugerechnet werden.

Dem Staatsschutzsenat in München unter dem Vorsitzenden Manfred Götzl obliegt es nun, die „Kernaufgabe“ anzugehen: die juristische Aufarbeitung der Terrorserie. Götzl ist ein erfahrener Vorsitzender, er gilt als akribisch. Und er steht vor einem gewaltigen Berg an Material: Schon die Anklageschrift hat 488 Seiten, mehr als 600 Zeugen werden darin benannt. Die mehr als 280 000 Seiten Ermittlungsakten füllen über 600 Ordner. Sowohl die fünf Angeklagten als auch die mehr als 70 Nebenkläger können weitere Beweisanträge stellen. Zunächst sind 80 Verhandlungstage angesetzt.